Mueller hoch Drei
gar nichts an. Das ist mein Leben.«
»In dem du bloß noch der Zankapfel bist.«
»Und wennschon.« Pauline sah so resolut und selbstbewusst aus, wie man das in einem Schlafanzug mit Ankerverzierung gerade noch kann. »Ihr habt mir jedenfalls nur komische Märchen anzubieten.«
Da kam mir eine Idee. Ich deutete auf den offenbar brandneuen Laptop, der auf Paulines kleinem Schreibtisch unter dem Fenster stand. »Kann man damit ins Netz?« Das war natürlich eine überflüssige Frage. Das Ding sah aus, als könnte man damit eine Mondlandung steuern.
»Finger weg!«
Ich tippte auf das Gerät. »Gib uns eine Chance. Eine nur. Check einfach mal kurz deine Mails. Danach hauen wir ab. Ehrenwort.«
Pauline sah uns abwechselnd lange an. Dann stieg sie langsam aus dem Bett und schaltete den Laptop ein. In atemberaubender Geschwindigkeit fuhr er hoch, und gleich sagte eine alberne Quietschmädchenstimme: »Sie haben acht neue Nachrichten.«
»Ruf die eine auf, die von einem Absender kommt, den du nicht kennst.«
Pauline zeigte mir einen Vogel. »Damit ich mir ein schickes Virus einfange, das meine Festplatte anknabbert? Na danke!«
»Bitte«, sagte ich. Dabei sah ich ihr fest in die Augen. Und ich versuchte alles Brüderliche in diesen Blick zu legen. Sie war immerhin meine Schwester. Wir hatten neun Monate zusammen in meiner Mutter zugebracht. Viel Platz konnte da nicht gewesen sein, jedenfalls zu wenig, um sich dauerhaft aus dem Weg zu gehen, besonders wenn man berücksichtigt, dass Paula auch noch dabei war. Wir mussten also einmal ganz gut miteinander ausgekommen sein. Schön, das war vierzehn Jahre her, aber irgendetwas war ja vielleicht von damals zurückgeblieben.
Und das war es tatsächlich. »Na gut«, sagte Pauline. Sie rief eine Mail auf; und wie ich es mehr gehofft als erwartet hatte, stammte die von Hochschmidt. Sie enthielt einen kurzen Gruß und einen Link. Ich nickte Pauline aufmunternd zu, sie zögerte, dann klickte sie ihn.
Zu dritt trat wir näher heran und sahen, wo wir jetzt waren: im Archiv des Standesamtes von Neustadt, Abteilung für Adoptionen. Langsam zogen Aktenseiten über den Bildschirm, bis sie beim 22. Juli vor vierzehn Jahren anhielten. Und hier stand es, leicht flimmernd, schwarz auf weiß: Paula Müller, abgegeben an das Ehepaar Wachsmuth aus Berlin, Pauline Müller, abgegeben an das Ehepaar Schönewind aus Marseby.
Ohne dass ihre Schwester sie daran hinderte, blätterte Paula zurück zu unseren Geburtsurkunden. »Guck doch mal!«, sagte sie in einer Stimme, die ich bislang selten von ihr gehört hatte. Und dann las sie vor: »Pauline, geboren 22. 7. um 7 Uhr 12. Paula, geboren 22. 7. um 7 Uhr 21.« Sie legte Pauline einen Arm um die Schultern. »Du bist die Älteste von uns. Du bist unsere große Schwester. Ohne dich können wir doch gar nichts machen.«
»Und ich?«, sagte ich.
Paula schaute zuerst auf die Akten, dann bekam ich einen bösen Blick. »Paul Müller, geboren 22. 7. um 7 Uhr 56. Du bist unser Nesthäkchen. Also halt dich bitte bedeckt, wenn ältere Menschen miteinander reden.«
Pauline sagte eine Zeit lang nichts. Sie starrte nur auf den Laptop. Dann wand sie sich aus Paulas Arm. Genau konnte ich es nicht sehen, aber ich glaube, sie hatte Tränen in den Augen.
»Vielleicht habt ihr ja recht«, sagte sie endlich. »Aber was bitte schön hab ich von euch? Demnächst ist mein Geburtstag. Dann krieg ich von meinem Vater ein eigenes Boot. Und von meiner Mutter die Jeans, die ich immer schon haben wollte. Verdammt noch mal, ich bin vierzehn! Jemand muss für mich sorgen, meinetwegen auch die Schönewinds. Mir doch scheißegal!« Damit warf sie sich aufs Bett und drehte uns den Rücken zu. Wenn sie weinte, konnte sie es ziemlich gut verbergen.
Paula machte mir ein Zeichen, und wir schlichen uns wieder aus dem Zimmer und aus dem Haus. Auf der Terrasse erwartete uns Piet Montag. In seiner Miene stand geschrieben, dass er wusste, was passiert war. Vielleicht hatte er es gehört, vielleicht konnte er es auch von unseren Gesichtern ablesen.
Wir wollten gerade aufbrechen, da hielt auf der anderen Seite des Hauses ein Auto. Es war die Gymnasialdirektorin, die sich, kaum war sie im Haus, mit unserer Pauline das letzte Wortgefecht für den heutigen Tag lieferte, das beide stilgerecht mit mehrmaligem Türenschlagen beendeten. Danach wurde es wieder ruhig.
»Und nun? Was machen wir?«
»Pennen wie die Penner!«, sagte Paula. Also zogen wir zum Bahnhof und schliefen
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