Mueller hoch Drei
wollte. Ich überlegte hin und her. Was hatte er uns damit sagen wollen: »Vielleicht kommt eure Schwester auf den Hund«? Als Zyniker hatte ich ihn nicht kennengelernt. Im Gegenteil, bislang war er doch unser guter Geist gewesen. Warum dann dieser Satz?
Ich grübelte und grübelte, da beugte sich neben mir eine Frau zu Piet Montag hinunter, um ihm mit den Worten »Was für ein süßer Hund. So einen möchte ich auch!« über den Kopf zu streicheln. Piet Montag schien das zu mögen und schnurrte eine Antwort. Endlich wurde die Frau von ihrem Begleiter mit dem Versprechen weitergezogen, man werde demnächst mal darüber reden.
»Vielleicht kommt eure Schwester auf den Hund.« Was sollte das bedeuten?
Natürlich! Ich schlug mir an die Stirn. Darauf hätte ich auch früher kommen können. Und dann erzählte ich Paula, wozu mich Hochschmidts Satz inspiriert hatte.
»Schau mal einer an, unser Nesthäkchen«, sagte sie, als ich fertig war. Ohne Vorwarnung wurde ich wieder mal geküsst. Ich ertrug es wie ein Bruder und informierte dann Piet Montag. Während er zuhörte, leckte er sich die Lefzen. Offenbar fand er meinen Plan delikat.
Zwei Stunden später lagen wir auf der Veilchenstraße gut versteckt hinter einem Lieferwagen, etwa zwanzig Meter entfernt vom Eingang zum Schönewind’schen Haus. Bei unserer Ankunft hatten wir Pauline mit ihrer Adoptivmutter zanken gehört, danach war sie in Richtung Hafen abgerauscht, von wo wir sie jetzt zurückerwarteten.
»Ob auch wirklich nichts schiefgeht?« Paula kämpfte offenbar mit einem kleinen Anflug von Zweifel.
»Es kann nichts schiefgehen. Es ist ein Test. Wenn sie ihn nicht besteht, können wir sowieso auf sie verzichten. Also gewinnen wir immer.«
»Stimmt«, sagte Paula. Und dann: »Achtung! Sie kommt.«
Tatsächlich hüpfte unsere Schwester gerade in die Veilchenstraße. Vielleicht hatte sie ihren Adoptivvater dazu überredet, ihr neben dem Boot auch noch eine Bootsbesatzung und einen eigenen Hafen zu kaufen. Jedenfalls schaute sie ziemlich zufrieden drein, bis sie genau auf Höhe des Hauses Nummer 28 ein beleidigtes Gesicht zog und schlagartig aussah, als hätte sie die letzten sieben Nächte durchgeweint. Doch bevor sie mit dieser Fleppe in ihr Elternhaus treten konnte, begann, präzise auf die Sekunde, der Auftritt von Piet Montag in seiner neuen Rolle als Der kranke Hund .
Pauline wollte gerade die Gartentür nach Art der Schönewinds ins Schloss schmettern, da schleppte sich aus einem Holunderbusch ein verdreckter, verlauster und auf den Tod abgemagerter, ehemals schwarzer, jetzt aber staubgrauer Junghund. Er hinkte auf mindestens einem Bein, und sein linkes Ohr sah eingerissen aus. Wir hatten ihm zwar bei den Vorbereitungen zusehen und bestaunen dürfen, wie er sich in verschiedenen Formen von Dreck gewälzt hatte. Aber wie ihm das mit dem Ohr gelungen war, ohne sich dabei zu verletzen, das war sein Geheimnis geblieben.
Kein Geheimnis machte er jetzt allerdings aus seiner jämmerlichen Verfassung, denn er heulte und jammerte, als steckte er im Rachen eines Wolfs, während er sich mühsam über die Veilchenstraße schleppte.
»O Hundilein!«, rief Pauline, als sie ihn sah. »Armes Hundilein! Was fehlt dir denn?«
Ein Drittel Frauchen, dachte ich bei mir. Paula knuffte mich, offenbar hatte ich zu laut gedacht. Ich stellte also das Denken und vorsichtshalber auch das Atmen ein.
»Armes, armes Hundi!«, rief derweil Pauline weiter. »Komm doch zur Pauli, da kriegst du ein schönes Fresschen.«
Der ausgemergelte Hund aber wich vor seiner vermeintlichen Retterin wie panisch zurück, wobei ihm etwas Rotes aus dem Maul floss. Vermutlich zerbiss er gerade die Beeren, die er aus dem Nachbargarten gestohlen hatte.
»Brauchst keine Angst vor der Pauli zu haben!«
Nein, Angst war hier nicht im Spiel. Nur ein Trick, der schon anfing zu funktionieren. Denn als Piet Montag jetzt weiter heulend und jammernd die Veilchenstraße hinunterhumpelte, ließ Pauline ihre Zankapfelei stehen und liegen und lief ihm hinterher. Paula und ich folgten den beiden in sicherem Abstand.
Piet Montag wusste, was er tat. Und er machte es gut. Gelegentlich blieb er stehen, manchmal legte er sich hin und ließ Pauline so nahe an sich herankommen, dass sie mit ausgestreckter Hand ein wenig seinen Kopf streicheln konnte. Doch dann raffte er sich wieder hoch und floh weiter, wie von einem unsichtbaren, aber nichtsdestoweniger tödlichen Feind gehetzt. So erreichte er den Bahnhof,
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