Mueller hoch Drei
dem Schlamassel.«
Darauf wurde es ganz still im Abteil, viel stiller, als es normalerweise in einem fahrenden Zug sein kann. Es war eine schöne, eine gehaltvolle, ja, eine meditative Stille, in der sich so mancherlei entwickeln kann. Doch da platzte leider der Schaffner herein und wollte unsere Fahrscheine sehen. Wir hatten natürlich allesamt keine, und beim Nachzahlen ging viel von dem Geld drauf, das uns Piet Montag am Morgen verdient hatte. Als der Schaffner wieder verschwunden war, versuchte es die Stille noch einmal, und mir schien, sie tat es mit Erfolg.
»Wie der wohl heißt?«, sagte Pauline endlich. Sie meinte natürlich den Hund, der mittlerweile auf ihrem Schoß eingeschlafen war, was ich übrigens für vollkommen echt hielt.
»Der heißt – aua!« Es gelang mir, Paula zum Schweigen zu bringen, indem ich ihr dezent, aber kraftvoll auf den Fuß trat.
»Der heißt«, sagte ich schnell, »wie du willst. Denk gar nicht lange drüber nach. Nenn ihn so, wie es dir gerade in den Kopf kommt.«
Und Pauline dachte wirklich kaum eine Sekunde nach, bevor sie sagte: »Dann heißt er Pablo!«
»O ja.« Paula rieb ihre Zehen. »Ganz wunderbarer Name.«
»Also, wenn ihr wollt«, sagte Pauline, »dann komme ich mit euch. Und natürlich der Hund.« Sie machte eine Pause. »Aber nur, wenn ihr das wirklich wollt.«
»Klar wollen wir!«
Pauline reichte mir ihre Hand. Ich drückte sie.
Und Paula schaffte immerhin ein ziemlich begeistertes Nicken.
Wieder in Berlin
I n den nächsten Stunden rumpelte der Zug gemütlich Richtung Binnenland und Hauptstadt Berlin. Von unserem allerletzten Geld hatten wir uns aus dem Zugbistro versorgt, und so saßen wir, jeder eine lauwarme Limonade und ein labberiges Sandwich in der Hand, nebeneinander im Abteil.
»Und ich heiße wirklich Müller?«, sagte Pauline mit vollem Mund. »Das ist ja furchtbar.«
»Stimmt.« Paula verschüttete vor Lachen etwas Limonade. »Aber immer noch besser als Schönewind.«
»Oder als Wachsmuth«, sagte ich. »Außerdem muss es bei Müller nicht bleiben. Wir sind ja nicht nur auf der Flucht, sondern auch unterwegs zu einer neuen Familie. Und wer weiß, wie die dann heißen wird.«
»Na, das nenne ich mal Freiheit!«
»Ach, Freiheit«, sagte Paula. »Das ist bloß ein anderes Wort für: nix mehr zu verlieren.«
Pauline sah an sich herunter. »Apropos verlieren. Ich habe überhaupt keine Sachen dabei. Außer dem, was ich anhabe.«
»Kein Problem«, sagte Paula mit gespielter Heiterkeit. »Soweit ich sehe, bist du nur unwesentlich dicker als ich. Also können wir täglich tauschen. Da hast du dann schon doppelt so viel.«
»Ich fange an zu begreifen, wie ihr denkt.« Pauline gab Pablo den Rest ihres Sandwichs. »Aber dieser Zug kommt demnächst auch mal an. Und bis dahin müssen wir gewisse Entscheidungen treffen, nicht wahr? Also, wohin sollen wir gehen? Und was sollen wir tun?«
Ich streckte die Beine aus. »Denken wir mal logisch: Wenn es niemanden gibt, der uns wirklich haben will, und wenn wir die, die uns haben wollen, nicht mögen, dann müssen wir ein Bedürfnis nach uns wecken. Wir müssen uns interessant machen. Noch sind wir irgendein Ramsch, für den niemand einen Cent ausgeben würde. Also müssen wir den Leuten klarmachen, dass es cool ist, uns zu haben.«
»Hä?«, sagte Paula. »Spinnst du? Ich bin doch kein Ramsch.«
»Ich spreche in Bildern.«
»Das merke ich, mein Lieber. Aber ich hasse Bilder, in denen ich eine schlechte Figur mache!«
Ich stand auf und platzierte mich vor die Abteiltür. »Pass auf! Ich gebe dir ein Beispiel. Stell dir vor, niemand mag rosafarbene Jeans.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Ich auch«, sagte Pauline.
»Gut. Und jetzt stell dir vor, von einem Tag auf den anderen tragen die süßesten Jungs aus diesen Boy Groups rosafarbene Jeans.«
»Ich hasse Boy Groups«, sagte Paula. Pauline lachte.
Hätten sie etwas weniger schmuddelig ausgesehen, hätte ich in die Polster gebissen. »Von mir aus Hollywoodstars!«, schrie ich. »Oder Spitzenfußballer! Models! Skilehrer! Rennfahrer! Mir doch vollkommen egal!«
»Reitlehrer?«, sagte Paula. »Geht dein Beispiel auch mit Reitlehrern?«
»Ja. Wenn es unbedingt sein muss.«
»Okay, jetzt kann ich’s mir vorstellen.«
»Danke«, sagte ich. »Also dein Reitlehrer trägt auf einmal rosafarbene Jeans. Und wie denkst du jetzt darüber? Würdest du jetzt rosafarbene Jeans kaufen?«
»Hör auf«, sagte Paula. »Ich bin doch nicht blöd. Außerdem
Weitere Kostenlose Bücher