Mueller hoch Drei
erschien gerade ein dünner Mond über den Bergen, und in dessen Licht wirkte er verlassen und auch ein wenig gruselig. Zitterte ich? Jedenfalls sagten meine beiden Schwestern, die immer noch meine Hände hielten, wie aus einem Mund, ich solle mir nicht ins Hemd machen. Ganz fest klangen ihre Stimmen allerdings auch nicht.
Langsam, jeden Schritt vorsichtig setzend, gingen wir quer über den Innenhof auf die große Scheune zu. Ich räusperte mich.
»Still!«, sagte Pauline.
Tatsächlich kamen aus der Scheune sehr zarte, ja feine, kleine Geräusche. Hätte man mich jetzt höflich gefragt, ob ich nachsehen wollte, hätte ich »Nein danke« gesagt. Aber mich fragte keiner, vielmehr schoben mich meine Schwestern durch das offen stehende Tor.
Die Scheune hatte ein Obergeschoss. Die Geräusche kamen von dort, von wo auch ein wenig Licht durch eine Luke herabfiel und huschende Schattenmuster an die Wände malte. »Guck mal nach!«, flüsterte mir Paula ins Ohr und deutete auf eine steile Leiter, die hinauf zur Luke führte. So wie sie es sagte, wusste ich, dass sie keinen Widerspruch duldete. Ich machte mich also ans Klettern, äußerlich gefasst, innerlich schlotternd vor Angst.
Als ich meinen Kopf gerade so eben durch die Luke geschoben hatte, hielt ich inne. Es gibt den schönen Satz: »Ich traute meinen Augen nicht.« Wobei der Satz natürlich nicht schön, sondern abgenudelt und verbraucht ist. Er steht in allen billigen Schmökern, man liest drüber weg, und wenn man dem Buch nicht allzu böse sein will, nimmt man ihn einfach nicht besonders ernst. Doch hier auf dem Heuboden der Hochschmidt’schen Scheune musste ich den billigen Büchern Abbitte tun. Denn tatsächlich: Ich traute meinen Augen nicht.
In vielleicht drei oder vier Metern Entfernung von mir und in einer Art Arena, die von mehreren Heuballen gebildet wurde, liefen sechs getigerte Hauskatzen im Kreis um eine flackernde Kerze, wobei immer eine Katze die Schwanzspitze der vor ihr laufenden keck ins Maul genommen hatte. Doch es war nicht dies allein, was mich meinen Augen nicht mehr trauen ließ – nein, über den geschlossenen Kreis, den Köpfe, Rücken und Schwänze der sechs Katzen bildeten, liefen hintereinander in ebenfalls geschlossenem Kreis wohl ein Dutzend Mäuse. Auch sie hatten einander bei den Schwänzen gepackt und, damit ich nicht vergesse, es zu erwähnen: Natürlich liefen sie in entgegengesetzter Richtung. Dazu spielte jemand unsagbar zart auf einer Flöte.
Ich hätte diesem Schauspiel immer weiter zusehen können, vielleicht bis ans Ende meines Lebens. Ja, ich wünschte mir in meiner momentanen Lage, ebenfalls eine Maus zu sein; so verlockend schien es mir, im gegenläufigen Uhrzeigersinn über die Köpfe, Rücken und Schwänze getigerter Hauskatzen zu laufen, wobei es mich nicht im Geringsten gestört hätte, bis auf weiteres nichts vom Leben zu sehen als den grauen Rücken meiner Vordermaus.
Doch mein Wunschtraum währte nur kurz, denn ich wurde sehr heftig in mein rechtes Bein gekniffen, das sichere Ende eines jeden Traums. Offenbar wollten meine Schwestern über die Vorgänge auf dem Heuboden informiert werden.
Ich sagte: »Aua!«
Und da stob das friedliche Schauspiel in alle Richtungen auseinander, eine kleine Flöte kullerte neben die Kerze in die verlassene Arena, und ein Mann schaute ärgerlich um einen Heuballen herum in meine Richtung. Es war, wie bei dem, was hier geschah, nicht anders zu erwarten, Bruno Hochschmidt.
»Zauberhaft, großer Meister«, sagte ich und kletterte das letzte Stück hinauf. »Eine überwältigende Vorstellung. So zart und anmutig.« Und, dachte ich, so vollkommen sinnfrei.
»Danke.« Hochschmidt deutete eine Verbeugung an.
Ich hob einen Finger. »Aber auch ich kann mit einer außergewöhnlichen Dressurnummer aufwarten. Bitte schön!« Und als ich ihnen ein Zeichen gab, kletterten nacheinander meine beiden Schwestern auf den Heuboden. In dem tanzenden Kerzenlicht sahen sie einander so ähnlich wie noch nie zuvor. Einen Moment lang wusste ich nicht mehr, welche welche war.
»Darf ich vorstellen: Paula und Pauline.« Worauf die beiden synchron knicksten und wir uns anstelle der Katzen und Mäuse in der Heuballenarena platzierten. Pablo gesellte sich zu uns; offenbar hatte er einen anderen, hundetauglicheren Weg nach oben gefunden.
»Schön, dass ihr alle da seid«, sagte Hochschmidt. »Und alle Achtung, dass ihr mich gefunden habt. Aber ihr bringt euch unnötig in Gefahr. Nach mir wird
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