Mueller hoch Drei
Heuboden so nachdrücklich und entschieden, dass sogar die Balken mit dem Knacken und die Mäuse mit dem Krabbeln aufhörten, weil sie diese Stille nicht stören wollten. Selbst das lose Heu verhielt sich ganz ruhig, weil man einen jeden Halm hätte fallen hören.
Schließlich sagte Hochschmidt: »Morgen ist auch noch ein Tag.« Und obwohl man das für gewöhnlich sagt, um sich Mut zu machen, klang es jetzt eher wie eine Drohung.
Das Bohnerwachs
D er Morgen in den Bergen hatte den letzten beiden Morgen voraus, dass wir nicht von Uniformierten, sondern von den Sonnenstrahlen geweckt wurden. Die fielen durch ein kleines Fenster ganz oben in der Scheune und kitzelten uns im Gesicht. Wir hatten darauf bestanden, im Heu zu schlafen. Irgendwie passte das einfach besser zu einer Bande von unfreiwilligen Streunern, wie wir es geworden waren. Wir streckten und räkelten uns, und vielleicht hätten wir noch weiter zu schlafen versucht, wäre nicht Pablo mit einem kleinen Schild um den Hals aufgetaucht, auf dem nur ein Wort stand, allerdings genau das richtige: Frühstück .
Später saßen wir dann lange um den großen Tisch in der Bauernküche versammelt. Hochschmidt, schweigsam wie die Berge selbst, stand am Herd und bewachte die Pfanne.
»Schau mal!« Paula stieß Pauline an. »Vor unser aller Augen vollzieht sich ein Wunder.«
Ich brauchte eine Weile, bis ich herausfand, dass das mir galt. Endlich wurde mir klar, was sie meinte. Auf dem Teller vor mir lag ein Paar Spiegeleier auf Speck und Schwarzbrot, die ich bereits weitestgehend dorthin befördert hatte, wo schon ihre beiden Vorgänger waren: nämlich in meinen Magen.
»Wie süß«, sagte Pauline. »Er hat Hunger.«
»Mach so weiter!« Paula schob mir Brot und Butter zu. »Da haben wir wenigstens nicht mehr die Sorge, durch deine dauernde Nahrungsverweigerung auf das Niveau von Zwillingen herunterzukommen.« Und dann klatschte sie mit Paulina ab wie die Basketballspieler, worauf die beiden so laut lachten, dass alles wackelte. Das Urselchen musste sich an der großen Milchkanne festhalten, um nicht vom Tisch zu fallen.
Ich beschloss derweil grimmig, auch noch ein viertes Paar Spiegeleier zu bestellen. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, quasi rückwirkend für die letzten beinahe vierzehn Jahre essen zu müssen.
Irgendwann aber kam auch dieses Frühstück an sein Ende. »Wo ist eigentlich Pablo?«, sagte Pauline. Offenbar hatte sie ihn seit zehn Minuten nicht mehr gesehen. Damit war die kritische Zeit überschritten.
Ich erklärte, dass ich gern nach ihm schauen würde, dass mich dazu aber jemand aus der Küche rollen müsste. Meine Schwestern gaben dem Witz eine Vier minus und machten sich selbst auf die Suche. Bald hörte man sie von überall her her nach dem Hund rufen.
Ich nutzte derweil die Gelegenheit. Da ich jetzt allein mit Hochschmidt war, konnte ich offen sprechen. »Was ist los? Haben Sie ihn etwa neu programmiert? Repariert er im Keller die Melkmaschine? Oder schreibt er Drehbücher für Fernsehkrimis?«
Hochschmidt spülte das Geschirr. »Nichts davon. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt.«
»Bis jetzt hat er uns sehr geholfen.« Ich erzählte Hochschmidt von Pablos furiosen Auftritten im Hotel Adlon und beim Kidnappingversuch des Zahnbesitzers. Die Seuchenaktion auf dem Münchener Hauptbahnhof sparte ich aus. Ich wollte ihn nicht in die Sache hineinziehen. Wer konnte wissen, was uns da noch blühte. Stattdessen erzählte ich vom großen Harrasani und seinen Taschenspielertricks und von Piet Montags Liebe zu unserer ältesten Schwester, die ihn in einen Pablo verwandelt hatte.
Zum ersten Mal seit unserem Wiedersehen lachte Hochschmidt. Er hielt mit dem Spülen inne. »Du erinnerst dich an meine Worte: ein Hund mit außergewöhnlichen Anlagen. Ich vermute, er hat begriffen, dass es ab jetzt sein größter Trick sein muss, ein ganz normaler Hund zu sein. Und wie ich ihn einschätze, wird er das auch schaffen. Nicht jeder, der Höchstleistungen vollbringt, ist auch in der Lage, ganz normal zu sein. Aber bei ihm bin ich zuversichtlich.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Sieh einfach nach. Weit wird er nicht sein.«
Also machte ich mich auf. Die Mädchen suchten schon in den Wiesen hinter dem Hof. Doch so weit würde ich in meinem überfrühstückten Zustand nicht kommen, daher stieg ich in dem großen und verwinkelten Bauernhaus umher. Hier gab es Treppen und Stiegen, lange Flure, von denen kleine holzgetäfelte Zimmer abgingen und etliche dunkle
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