Mueller und die Schweinerei
Ein Einzelpsychopath? Businesskonkurrent?« Das sind nur einige Theorien in der weltweiten elektronischen Informationsgesellschaft, ihren Friends und Followern.
Aber wir sind immer noch in Zürich, und der Müller Benedikt weiss von all den digitalen Informationsströmen nichts. Ist nämlich bis nach Mitternacht mit Bucher Manfred zusammengesessen. Nun zu Hause in der noch immer abgedunkelten Wohnung angekommen, reisst alle Fenster auf für Durchzug, und die blinkende rote Zwei auf dem Anrufbeantworter ist nicht zu übersehen. Wer hat angerufen? Bitte warten, bis der Müller abgehört hat: Zuerst Franz Schubert mit der seltsamen Frage: »Rollschinken, sagt dir das etwas?« Mehr nicht. Und Müller denkt: Kurios. Weil Franz Schubert normalerweise nicht so kryptisch auf Anrufbeantworter redet, wie das unvermittelt ausgestossene Wort »Rollschinken« glauben machen könnte. Hat er immer noch zu heiss?
Der zweite Anruf ist von Heini Angst, bittet den Müller sofort um Rückruf. Macht er sofort und Heini Angst, wie nur auf den Anruf gewartet, ist gleich dran und sagt: »Bitte kommen Sie auf den Hof.«
Und der Müller: »Ist Gefahr im Verzug?«
Antwort Heini: »Nein, das nicht, aber ich habe etwas ganz Seltsames vorgefunden.«
Und Müller findet wie von Gottes Hand auf dem Küchentisch unter dem frischen Zeitungshügel von heute seinen Autoschlüssel, schnell die sechs halben Treppen hinunter Erdgeschoss raus zur Schmutzecke beim Schulhaus. Dort steht der Wagen. Und der Müller freut sich sogar richtig aufs Autofahren: Auto fahren bei Nacht aufs Land hinaus. Wie lange hat er das nicht mehr gemacht! Das Fenster nach unten gekurbelt, dass der warme Fahrtwind ihm die Backen streichelt und die Haare verweht. Er braucht nicht einmal Musik, um den Rhythmus zu kriegen und sich wohlzufühlen. Und das, obwohl ihm der Arzt wegen seines ramponierten Nervenkostüms vom Autofahren abgeraten hat. Schlüssel drehen, Kupplung, erster Gang, Kupplung, zweiter Gang und weiter hochschalten. In die Birmensdorferstrasse, darauf stadtauswärts Goldbrunnenplatz Talwiese weiter weiter Triemli die Waldegg hoch. Und nach der Passhöhe Waldegg wird die Luft sogar etwas kühler. Strassenbeleuchtung, Scheinwerferkegel, wie ein heller Tunnel in der Dunkelheit, die alle Einfamilienhäuser und Garagen und Gewerbegebiete verschluckt und so die Schweiz verschönert, weil all die Werke von Architekten unsichtbar sind, die konsequent jede Schönheit bekämpfen. Das Hässliche sieht der Müller jetzt nicht, schaut nur aufs lang gezogene Asphaltband und fährt der Lichtstrasse seiner Scheinwerfer entlang, hört das Getriebe seines Wagens, regelmässig arbeitet es, bringt es ihn in weniger als zwanzig Minuten nach Oberlunkhofen, durch den Ort mit fünfzig, auf den Schwendihof hinaus. In der Küche brennt Licht. Sonst rundherum alles finster. Das Müllerauto rollt vor dem Wohnhaus aus.
Sie kommen heraus, der Heini Angst und seine Frau Marie Angst-Schwerzmann. Sie haben auf ihn gewartet. Und selbst Beat Schaufelberger, der Nachbar mit dem schnittigen John Deere, Kompakttraktor der Serie 6030, ist anwesend.
Sie gehen schweigend mit dem Müller in den Schweinestall und weisen mit dem Finger in die hinterste Ecke, um zu zeigen: Dort ist es!
Und wirklich: So etwas hat der Müller noch nie gesehen.
In der hinteren Ecke des leeren Schweinestalls steht er: ein riesiger Rollschinken.
Mannshoch wie der Müller in persona.
Und wenn du so etwas siehst, lässt dich das wirklich etwas ratlos zurück. Ich meine, so grosse Rollschinken gibt es doch gar nicht, also in der wirklichen, normalen Welt. Das stellt kein zurechnungsfähiger Metzger her, so was. Der Müller sofort Mobiltelefon raus und ruft Franz Schubert an, weil der hat ja auf seinem Anrufbeantworter von Rollschinken gesprochen.
Der nimmt ab, weil auch er nicht schlafen kann und wieder im Büro sitzt, weil ihm der Rollschinken etwas zu schaffen macht, aber nicht der, der ihm durch den Kopf gegangen ist, sondern der, den er gegessen hat, und sagt: »Ich war an der Jahresversammlung des Philatelistenvereins Albisrieden im Hubertus, da gab es Rollschinken. Ich habe wie eine innere Stimme gehört, die sagte: Das musst du dem Müller sagen, das Wort ›Rollschinken‹.«
Eine innere Stimme, Franz Schubert hört eine »innere Stimme« …? Gerät die Welt jetzt völlig aus den Fugen? Wrackt die Vernunft ab?
Denn wirklich, schauen Sie genau hin: Ein riesiger, mannshoher Rollschinken! Riecht
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