Mueller und die Schweinerei
bewerten. Braucht Zeit. Es gibt nämlich Publizitätssüchtige, die alles gestehen würden, damit sie nur ins Internet kommen. In Wirklichkeit und für das Gericht müssen die Polizei und der Müller jedoch den Richtigen erwischen, weil es geht ja um Gerechtigkeit und Wahrheit. Das verlangt das Gesetz und die Strafprozessordnung. Du kannst nicht einfach irgendeinen abführen, der in sich so viel Geltungsdrang hat, dass er unbedingt als der »Schweineschlächter von Oberlunkhofen« in die Medien will, sondern es muss der wirklich Schuldige sein, sonst stimmt es nicht, der Täter bleibt auf freier Wildbahn und wird – bei nicht gefassten Tätern ist das häufig, wie die Kriminalliteratur lehrt – rückfällig.
Ja, dieser Fall wird immer rätselhafter. Bisher nur falsche Fahndungshypothesen, keine konkrete Spur, viele sympathische Menschen, aber siebenundzwanzig tote und zwölf schwer verletzte und daher vom Bauern mit bewaffneter Hand erlöste Schweine. Vielleicht ist der Fall doch etwas zu abstrus für einen, der wieder den Einstieg ins normale Leben sucht. Obwohl, ist ein Polizeileben das, was man unter dem normalen Leben versteht?
Das alles denkt er unterwegs. Birmensdorferstrasse, die Einzelheiten der Route spulen wir im Schnelldurchlauf vor, bis Oberlunkhofen, Schwendihof. Kaum ist der Müller wieder da, fährt auch schon der Minibus des Wissenschaftlichen Diensts der Polizei Zürich auf den Hof. Auf dem Beifahrersitz Bucher Manfred (89 Kilogramm). Die Kollegen sehen den Müller, er winkt, sie auch. Die Bäuerin und der Bauer kommen heraus, schicken ihre Kinder zum Spielen hinters Haus. Grüssen allerseits, und der Müller mit dem Schlüssel in der Hand zum Stall. Tür unversehrt, keine Einbruchspuren. Schliesst auf. Hinein.
»Da haben wir die Schweinerei«, sagt der Müller.
»Sofern es wirklich Schweinefleisch ist«, merkt analytisch der Mann vom WD an. Es ist Erwin Hofstetter. Allein gekommen, der Rest des Teams in den Ferien oder im Labor.
»Das ist er«, zeigt der Müller mit der ausgestreckten Hand, was überflüssig ist, weil es gibt hier ja nur einen einzigen verdächtigen Rollschinken. Da die Schweine den Sommer durch draussen weiden und schlafen, riecht es im Stall nach geräuchertem Fleisch. Bucher Manfred steuert auf den mannshohen Rollschinken zu und der WD ler gleich hinter ihm, mit seiner Tasche, den Werkzeugen, Zangen, Pipetten, Apparaten und Reagenzgläsern sowie Beuteln.
Der Kollege vom WD schaut durch seine Spezialbrille, nimmt Proben und fotografiert, während Bucher Manfred sich umsieht.
»Irgendwas Aussergewöhnliches sonst?«, fragt er, und der Müller schüttelt den Kopf: »Ich bin wie der Esel am Berg.«
Nach allen nur möglichen Untersuchungen, die Erwin Hofstetter routiniert und präzise durchführt, stülpt er eine riesige Plastiktüte wie ein Kondom über den Rollschinken.
»Wir nehmen ihn mit«, sagt Hofstetter.
Er wird abtransportiert und der Vernichtung zugeführt. Denn selbst wenn er nicht vergiftet ist oder sonst etwas, seine Lagerung im Schweinestall entspricht nicht den Hygienevorschriften vom Bund. Salmonellen und Maden werden schon an ihm nagen. Gerade jetzt im August. Schade für die Tiere, die dafür gestorben sind. Schade fürs Fleisch, klar, wir werfen nie etwas weg und der Müller schon gar nicht, aber hier handelt es sich um einen Spezialfall: Corpus Delicti. Weil das ist schon seltsam, dass ein so grosser Rollschinken hier im Schweinestall steht. Wer macht bloss so etwas?
Diese Frage, der Müller und Bucher Manfred diskutieren sie ausgiebig, bis Hofstetter alles erledigt hat. Beim Einladen und Verstauen im Minibus helfen sie. Der WD ler drängt zur Abfahrt. Hat noch viel Arbeit vor sich: die ganzen Analysen im Labor.
Jetzt ist es vielleicht der Moment, wo ich etwas Wissenschaftliches erklären muss, weil das gehört selbstverständlich zu polizeilichen Ermittlungen. Bucher Manfred und Erwin Hofstetter vom WD fahren mit dem Minibus wieder in die Stadt, ins Polizeigebäude, in die Laborräume vom Wissenschaftlichen Dienst der Polizei Zürich. Nüchtern und sachlich eingerichtet, wie man es erwartet. Dort, im zweiten Stock des Grossen Polizeihauses, wird Hofstetter vom Rollschinken ein kleines Stücklein abhobeln und es unter das Mikroskop legen, zwecks DNS -Analyse. Die Desoxyribonukleinsäure enthält nämlich unser ganzes Erbgut, auch das von Fleischwaren. In diesem Punkt unterscheidet sich ein Rollschinken weder von einem Nobelpreisträger noch von
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