Mueller und die Tote in der Limmat
Brenda Marquardt. Will ihre Stimme hören. Aber kommt nur die Mobilbox. Im Untergeschoss bei den Chromstahlwannen wohl kein Empfang. Und kein Skandal: auf Privatkosten, nicht auf Dienstrechnung. Auch da sitzt das Controlling dir rittlings im Nacken. Die kennen gar nichts, die Buchhaltungsschergen.
Obwohl erst knapp zehn Uhr am Donnerstag, kann man jetzt schon sagen: Ist Wahnsinn, was bis dahin an einem Tag schon passiert ist. Ja, du hast recht, ist schon so, ist allgemeingültig. Aber es gibt doch solche Tage. Manchmal ballt sich das Geschehen so richtig zusammen und stösst wie eine Faust aus einer Wolke auf uns Menschen oder auf die Stadt Zürich oder auf die Rockszene herunter. Und mittendrin stehen der Müller und der Bucher und die ganze Polizei und nimmt den Besen und kehrt die Trümmer weg, nachdem die Spurensicherung ihres Amtes gewaltet hat. Das braucht Zeit. Inzwischen laufen trotz der subtropischen Hitze die Hirne schon auf Hochtouren, auch dem Müller seines. Das Verbrechen versucht entweder zu fliehen oder direkten Nutzen aus der Gesetzesverletzung zu ziehen. Aber wer am Schluss lacht, ist der Tüchtige, nicht der Flüchtige. Der Arm des Gesetzes schwebt über uns allen. Ruhig schläft, wer reinen Gewissens ist. Bei uns in Zürich ist das so, kannst du mir glauben. Denn ich kenne die Polizei.
Fragt sich sicher die Leserin und der Leser: Warum gerade jetzt plötzlich eine Art Denkpause? Ist doch noch nicht verstrichen, der Donnerstag, es ist ja erst morgens, der Tag läuft noch, und zwar stundenlang. Gewiss, wir haben schlechte Neuigkeiten mitten ins Gesicht erhalten, aber die Ermittlungen sind keineswegs vollbracht. Stattgegeben.
Erklärung: Will ich doch auch zwischendurch einmal denkpausieren. Hilft mir und dem Müller, den Strudel von Ereignissen zu addieren und aus der Quersumme wertvolle Hinweise zur Verbrechensbekämpfung zu gewinnen. Ist nicht alles von vornherein prädestiniert, wie Huldrych Zwingli sagt, sondern musst du improvisieren. Heisst: aus dem Stegreif heraus nach den Erkenntnissen greifen. Dann kommt schon etwas zusammen. Und diese Gedanken fallen egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit über den Müller her. Da muss er bereit sein. So geht das im Hirn von der Polizei. Nie säumen, sondern aufmerksam sein.
Und manchmal sieht es von aussen so aus, dass du steif und starr dasitzt wie ein gefrorenes Chamäleon. Kann schon sein, dass es so aussieht. Aber in dem gefrorenen Chamäleon drin tobt ein elektrischer Wirbel von Gehirnströmungen, wenn du das messen tätest, erschiene es dir wie ein Neurotornado. Es arbeitet nämlich in dem Tierchen drin, obwohl seine Äuglein geschlossen sind und kein Funken der Erkenntnis seinen Mund zu umspielen scheint.
Und genau das ist das Wort: Scheint.
Denn «aller Schein ist trügerisch, manchmal» (Sun Tzu).
Und wer so steif und starr bei mittlerweile zweiunddreissig Grad in der Küche sitzt, immerhin jetzt angezogen mit Hose und Hemd und Sommerschuhen mit Luftlöchern, sind die 83 Kilogramm und 182 Zentimeter vom Müller in voller Grösse und Konstitution. Ein Wasserglas labt ihn gegen die Hitze, weil Sommer und Zürich und die Leute müssen fast nichts anhaben an ihren so oder anders proportionierten Körpern. Und manchmal ist das schon schön. Und seine braunen Haare schwitzen, und er rührt sich nicht, sondern wartet, bis die Zeit weitergetickt hat. Das ist auch eine Polizeiregel: Manchmal musst du warten, vor allem, wenn dir dein bester Freund sagt, dass du musst.
So sitzt der Müller Beni in seiner Küche. Wartet. Darf nichts tun. Und er denkt noch: Die Hitze macht dich fertig, obwohl wenig Kleider und immer viel Wasser und auch – nicht vergessen – Salz zu sich nehmen. Und darum jetzt schon rüber ins abgedunkelte Schlafzimmer. Siesta. Leichter Schlaf.
Und als das Bewusstsein ihn wieder aufsucht, geht er auf den Balkon raus. Die Kastanienbäume auf dem Schulhof, wo die Lärmkinder ausserhalb der Ferien hausen, sind schon gelb und braun. Mit der Zigarette kommt ihm ein Gedanke, mit Wehmut durchsetzt: Gefahrlose Strassen von Zürich. Wart ihr einst.
Und er sieht die Ecke des Schulhofes wie immer mit Müllsäcken vollgestellt und der Geruch … schweigen wir vom Geruch. Aber ein schönes Gefühl, der Müller hat eines: Heimat ist, wo alles vertraut ist, sogar der Geruch, auch wenn er stinkt. Und plötzlich: Kastanienbäume wiegen sich sanft in der windstillen Glutluft, Laub schon gelb und braun, fast Vorahnung von Herbsttod, doch noch ist
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