Muenchen Blues
behaupten, sie würden die bestekennen. Sie haben einen entweder dorthin geschleppt, wo es sie wirklich gibt, dann sitzen sie da, lauern jedem Bissen hinterher und sind stockbeleidigt, wenn man nach dem Hinunterschlucken nicht auf ihr Urteil einschwenkt. Oder sie müssen sich mit der Zweit- oder Drittbesten begnügen, dann schwatzen sie einem mit dem Lobpreis ihrer Besten derartig die Hucke voll, dass man jeden Appetit verliert. In der Lokalität an der Großmarkthalle läuft der bayerische Klugscheißer ins Leere, weil es kaum Externe gibt, an die man hinreden könnte.
Ich bestellte mir eine Kalbshaxe mit Prinzessböhnchen und Röstkartoffeln. Hinterher war ich zugeballert wie eine Anakonda mit einem kompletten Hängebauchschwein im Leib und saß eine geschlagene Viertelstunde da, unfähig, die Hand zu heben, um den Kaffee zu bestellen, der mir wieder auf die Beine helfen würde. Buddhistisch gesehen befand ich mich im Idealzustand, es gab momentan nichts, was ich von dieser Welt begehrt hätte. Der Fehler war nur, dass dieses tief gefühlte Nichts mit unzulässigen äußeren Mitteln wie einer Kalbshaxe hergestellt worden war.
Als ich das Kännchen endlich vor mir hatte, endete dieser schöne Zustand abrupt, und mir wurde bewusst, dass ich mit der anstehenden Fahrt zum Uptown Munich drauf und dran war, meinen Glückstag in den Wind zu schießen. Aber, so hatte ich das vom Dalai-Lama gelernt, nach der Sonne würde wieder Regen kommen. Und das alles immer wieder von vorne und so lange im Kreis, bis einem komplett egal war, welches Wetter draußen anstand. Dann war man zwar auch nicht glücklicher, aber man brauchte keine Kalbshaxen mehr, um sich gegen das Unglück abzustumpfen.
Ich nahm den Bus, lud das Bild ein und fuhr zunächst in die Holbeinstraße, um dem Graumann seinen Banzer anzuliefern und mein Restgeld abzuholen. Die Wohngegend war schönstes Bogenhausen, wobei es nicht wegen der vielen Villen dort so schön ist, sondern wegen der einmaligen Möglichkeit, Kaviar und Schampus beim »Feinkost Käfer«-Stammhaus fußläufig einholen zu können. Die Transaktion Bild gegen Geld ging ohne Schwierigkeiten vonstatten. Über den Ring fuhr ich Münchens höchstes Gebäude an.
Ich stellte meinen Wagen unten auf dem Parkplatz ab. Zum Glück für meine Kalbshaxe und mich gab es gleich einen leistungsfähigen Lift, der mich nach oben in Zone drei beförderte, die bis zum fünfunddreißigsten Stockwerk reichte. Es war ausgemachte Sache, dass irgendwann einmal ein göttlicher Blitz in diesen babylonischen Turmbau fahren würde, weil hier das Münchner Dommaß von etwa hundert Metern eklatant überschritten worden war. Aber das musste ja nicht gerade dann sein, wenn ich mich dort aufhielt, nein, das würde jetzt bestimmt nicht passieren, denn der Herr kenne die Seinen, pflegte der französische Großinquisitor zu sagen.
Als ich ausstieg, kam ich durch eine Schwingtür aus Edelholz und Milchglas an eine Verzweigung: Links ging es zur International Business Development, rechts zur Global Real Estate. Das war meine Richtung. Allerdings war dem Eintritt in diese geheiligten Hallen ein atemberaubend langer Edelholz-Chrom-Rauchglas-Desk vorgeschaltet. Eine Frau in besten mittleren Jahren, die ich in Neapel als Schwester von Sophia Loren anbaggern würde, saß dahinter mit Headset, Flachbildschirm und einem Lächeln, das mich umgehauen hätte, wenn ich es irgendwie hätte persönlich deuten können.
– Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?
– Guten Tag auch. Nein, vielen Dank, bitte behalten Sie Platz. Muss nur zur Real Estate.
– Das geht nicht!
– Ach was, natürlich!
Ich steuerte einfach den rechten Eingang an. Wieder protestierte sie heftig.
– Halt, bleiben Sie doch stehen!
– Verabredung mit dem Chef, rief ich ihr zu.
Dann drückte ich die Tür auf, um nach so langer Zeit endlich ins Herz des Bösen vorzustoßen. Innen war alles ganz ruhig, kein Laut, kein Telefon, kein Tastaturgeklapper. Ich ging einen Gang entlang, der mit Einbauschränken aus zartem Birkenholz ausgestattet war, und bog dann in ein Großraumbüro ein. Dort verschlug es mir die Sprache.
Hufeisenförmig standen kirschholzfarbene Schreibtische so aufgereiht, dass alle über die breite Glasfront einen wunderbaren Ausblick hinaus hatten. Weiter links, ebenfalls durch Glas abgetrennt, lag das Chefbüro mit einem Teakholzwuchter als Arbeitstisch, aus dessen bloßer Holzsubstanz man unzerstörbare Brotzeitbretter für eine riesige Belegschaft hätte
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