Muenchen Blues
Während wir alle im Normalformat aneinandergekuschelt waren, erschien der Russe in Cinemascope, ebenso breit wie lang, Abteilung Ringer oder Gewichtheber. Der Russe freute sich über den herzlichen Empfang und verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, das die Überlegenheit seines Breitwandformats voll ausschöpfte.
– Griß Gott, sagte er.
Er war also ein Russisch-Orthodoxer und keinesfalls Kommunist. Um seine Schultern hatte er ein weißes Handtuch gelegt, ansonsten trug er eine dicke blaue Badehose mit weißen Seitennähten und Reißverschlusstäschchen, wie ich sie zuletzt als Kind an meinem Vater gesehen hatte. Allerdings war die seine etliche Nummern größer, denn seine Oberschenkel hatten die Dimensionen von Säulen. Er setzte den gut gefüllten Eimer ab und rührte mit einem großen Holzlöffel die aromatisierte Brühe durch.
– Eukaliptus, sagte er.
Warum er kein Ü sprechen konnte, wusste ich auch nicht.
Noch bevor er die ersten Kellen voll auf den Ofen gegossen hatte, ertönten schon Schmerzensschreie von den Rängen, lustvoll gequälte Ahs , Ohs und Ohwehs . Dann wedelte er mit dem mitgebrachten Handtuch, mal zart, mal windmühlen-, mal peitschenartig. Jetzt verstand ich das Spiel. Es ging darum, wer es am längsten aushielt. Ganze Gruppen verließen fluchtartig die Kabine, und es mochten wohl zwanzig Kellen gewesen sein, die er aufgelegt und propellernd feinverteilt hatte. Dann saßen noch vier gut durchgesottene harte Kerle im Raum, und der Russe erbarmte sich unser.
– Machen Schluss, sagte er, Herz.
Er deutete ein vibrierendes Etwas in der linken Brustgegend an, dann komplimentierte er jeden einzeln hinaus.
Keine Frage, dass man mit so einem als Trainer dem Finnen die Weltmeisterkrone im Saunieren entwinden würde. Noch eine Stunde später, als ich meinen Flüssigkeitsverlust mit Weißbier ausglich, war ich stolz auf meine Heldentat. Ich schaute mich im Lokal um, und da hinten im Eck saß eine Frau, die meinen Blick freundlich lächelnd erwiderte. Esmusste wohl daran liegen, dass ich sauber, wohltuend durchgearbeitet und gut durchblutet aus dem Bad gekommen war und etwas ausstrahlte, was Hühner so an frischroten Hahnenkammträgern zu schätzen wissen. Dass ich nicht sofort ein Gespräch mit ihr suchte, lag daran, dass man sich Frauen nicht so offenbaren kann, wie man das möchte. Es gibt eine manchmal schmerzliche Getrenntheit zwischen den Geschlechtern. Frauen war es verdammt schwer zu vermitteln, dass man sich, ihre Unterstützung vorausgesetzt, gut vorstellen konnte, nach dem Lorbeer eines Saunaweltmeisters zu greifen, und dass man gerade eben schon ein wenig an einem solchen Grenzbereich gekratzt hatte.
Ja doch, so war das, aber man war ja flexibel und hatte auch noch andere Themen. Also packte ich mein Glas und setzte mich hinüber.
Sie hieß Anja, war Kunsterzieherin und Mitglied einer Schwimmgruppe, die sie heute im Stich gelassen hatte. Nach artigem Geplänkel, in dem ich offenbar bella figura machte, zog mich Anja ins Vertrauen.
– Ich habe ein Problem.
Einen, der gerade eben in der Weltrangliste so nach oben geschossen war, konnte das nicht verwundern.
– Mein Schloss klemmt.
Ich verschluckte mich fast an meinem Bier. War das eine Wendung aus dem Ingenieurswesen oder Pornoslang? Anja zog einen Fahrradschlüssel mit abgeschabter Nase aus der Tasche.
– Draußen am Fahrradständer steht es.
Ach ja! Aber was sollte daran ein Problem sein? Wo uns doch die Natur mit kräftigen Oberarmen und derhandwerklichen Selbstgewissheit ausgestattet hat, jede Maschine wieder zum Laufen bringen zu können.
24
Nach diesem wechselvollen Abend ging der Vormittag des nächsten Tages zum Ausgleich mit einem einträglichen Geschäft los. Offenbar ruhte der Segen der guten Tat auf mir, anders konnte ich mir jedenfalls nicht erklären, dass schon nach kurzer Zeit ein Kunde derartig scharf auf meine Neuerwerbung in Öl, »Hirsch vor Garmisch«, war.
Die Kunst, einen Trödelladen zu dekorieren, ist, die Dinge, die man verkaufen möchte, auszustellen und dabei gleichzeitig ein bisschen zu verstecken. Der Kunde geht davon aus, dass vorne im Fenster das steht, was der Händler als seine schönsten Stücke betrachtet und am dringlichsten losschlagen möchte. Irrtum! Bei mir waren ganz vorne zwei Karussellfiguren aus Holz ausgestellt, die jedes koloniale Herz höher schlagen ließen: ein Elefant mit rotem Sattel und ein höflicher Mohr mit Turban und Samtspenzer. Die beiden zogen die Leute an,
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