Muenchen Blues
Lilo. Ich bin freier Journalist, arbeite für eine Reihe von Blättern, wie Handelsblatt , Spiegel , Focus . Du bist meine Sekretärin und organisierst meine Termine. Ich möchte eine Serie über prominente Manager machen. Das isteine Ehre, verstehst du? Also, du rufst einfach Dr. Nüsslein an und triffst eine Verabredung mit ihm. Ich besuche ihn für ein erstes Gespräch. Kriegst du das hin?
Lilo war beleidigt.
– Ob ich das hinkriege? Aber hallo! Was glaubst du, wie viele Termine ich schon in meinem Leben mit Männern gemacht habe.
– Stimmt auch wieder. Lilo, ich bin dir ewig dankbar, wenn du das hindrehst!
Sie lachte und versprach, sich sofort dahinterzuklemmen. Inzwischen war es Mittag geworden. Ich schloss den Laden und machte mich auf, eine Kleinigkeit zu essen. Eine erneute Schwangerschaft durch Kalbshaxe kam definitiv nicht in Frage. Buße würde mir eher guttun. Ich ging hinüber in den großen Biomarkt, der auch eine Imbissecke hatte.
Als ich meinen frisch gepressten Möhrensaft und die zwei Gemüsebratlinge bestellt hatte, wusste ich, dass der Besuch dieser Lokalität ein großer Fehler gewesen war. Die Atmosphäre und die Leute machten mich stockaggressiv. Hinter der Theke stand eine junge Indiofrau, vielleicht Peruanerin. Mit dieser Fair Trade -Moralkeule machten sie einen von Anfang an platt. Man sollte die Schnauze halten. Tatsache war jedoch, dass sie kaum ein Wort Deutsch sprach und nicht wusste, wie man Fertigbratlinge in der Mikrowelle aufwärmte und wie viele Möhren sie durch den Entsafter rauschen lassen durfte, um mir ja nicht zu viel zu servieren. Also lief sie mit dem viertel-, halb-, dreiviertelvollen Glas immer wieder zur Chefin an der Kasse, um zu fragen, ob das jetzt in Ordnung sei. Währenddessen stand ich mit meinen lauwarmen, strohtrockenen Bratlingen da und lechzte nach Flüssigkeit, die ein Mann mitKater dringend braucht, um solche Kost den Schlund hinunterzubekommen. An der Theke bildete sich eine lange Schlange. Das aber machte den Gutmenschen dort gar nichts aus, sie handelten sich durch das wie aufgenagelte Dauerlächeln lieber einen Muskelstarrkrampf ein, passten peinlich genau auf, dass sie sich nicht die Drahtkörbe ins Kreuz stießen. Und wenn Kinder dabei waren, führten sie kleine Unterhaltungsnummern auf, um zu zeigen, dass sie die Gute-Onkel-und-Tanten-Prüfung mit Auszeichnung bestanden hatten. Dann endlich kam die Chefin, um den Stau aufzulösen, und sagte Sätze wie: dass sie den Käse dort mit Blauschimmel super empfehlen könne, aber nur, wenn man Ziege mögen würde.
Dieser fortwährend aus allen Mäulern triefende Honigseim machte mich ganz krank. Dann passierte es: Eine junge Mutter betrat den Laden. Der Pullover unter ihrem Mantel war hochgeschoben und dort an ihrer Brust hing ein so gut wie neugeborenes Kind. Dieses Ensemble ist in einem Bioladen die absolute Killerapplikation. Alle Leute traten sofort beiseite und bildeten respektvolle Gassen. Das allgemeine Lächeln wurde zarter und verständnisinniger. Man sprach nur noch in homöopathisch gedämpften Sätzen. Auf leisen Sohlen schlich ich zur Kasse, entrichtete meinen Obolus, sprang wie der dicke fette Märchenpfannkuchen aus dem Laden und lief kantapper, kantapper die Lindwurmstraße hinunter. Was für eine Erleichterung, wenn man das brüllende Leben wieder um sich hatte.
Ich musste zu Hause nur kurz meinen Anrufbeantworter abhören, um festzustellen, dass Lilo alles für mich geregelt hatte. Ich hatte schon für heute Spätnachmittag einen Termin bei Dr. Nüsslein.
Da blieb also noch Zeit genug, mich in meine neue Rolle einzufühlen. Zunächst sondierte ich meinen Kostümfundus, den ich damals bei der Renovierung der Münchner Kammerspiele günstig übernommen hatte. Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für die Mephisto-Ausstattung. Der Regisseur hatte Mephisto als schwarz gekleideten Existentialisten auftreten lassen. Nur die Taschen hatten rotes Futter. Dazu gab es spitze Schuhe und einen schwarzen Mantel mit Stehkragen wie eine Priestersoutane. Als Tüpfelchen auf dem i eine markante Brille mit schwarzem Gestell. Mit Fensterglas, versteht sich. Das war’s!
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Ich fuhr mit dem Bus zum Uptown Munich. Unterwegs hatte ich noch eine prächtige rote Rose besorgt. Sie duftete, darauf legte ich großen Wert, und hatte eine samtigen, gut gefüllten Blütenkelch. In den Tiefen meines schwarzen Mantelsacks steckte eine schlanke, geschliffene und goldverzierte Vase, die gut und gern als
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