Muenchen - eine Stadt in Biographien
von der nach ihrer Ansicht allzu konservativen, unbeweglichen Münchner Sezession. Sie warfen den Sezessionisten vor, im Impressionismus und Jugendstil stecken geblieben zu sein, sie kritisierten das Auf-der-Stelle-Treten und die Blindheit gegenüber neuen Ideen. Ein Dolchstoß, waren doch die Künstler der Sezession selbst die, die sich vom Konventionellen, allzu Glatten, Gefälligen lossagten, die neue Wege beschreiten und den saturierten Malerfürsten und ihrem Dunstkreis entkommen wollten. Es war schon immer besonders bitter für Neuerer, wenn sie von noch Moderneren, Waghalsigeren, Innovativeren überholt wurden.
Im Salon der
Marianne von Werefkin
gründete man eine »Neue Künstlervereinigung« ( NKVM ). Mit von der Partie waren außer der Gastgeberin und ihrem Freund
Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter
und
Alfred Kubin.
Eine Diskussion über radikal veränderte Sichtweisen der Malerei war damit entzündet worden. Zwar ging es um die alten Themen Farbe und Form, nur wurde die Debatte nun aus einem völlig anderen Blickwinkel geführt. Im Überschwang des neuen Selbstverständnisses inszenierten die Künstler eine Ausstellung von einer Radikalität und Modernität, wie man sie bisher noch nicht kannte. Die Kunstkritiker, die etablierten und arrivierten Kollegen, das interessierte Bürgertum – ganz München stand Kopf. In den »Münchner Neueste Nachrichten« schäumte ein Kritiker: »Diese absurde Ausstellung zu erklären, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt an, dass die Mehrzahl der Mitglieder und Gäste der Vereinigung unheilbar irrsinnig ist oder aber, dass man es mit schamlosen Bluffern zu tun hat …«
Für einen kurzen historischen Moment war München zum Dreh- und Angelpunkt der Kunstmoderne geworden. Einige ihrer Protagonisten waren bereits 1896 aus Russland gekommen, Kandinsky, Werefkin und Jawlensky. Aus der Schweiz kam
Paul Klee
dazu, Alfred Kubin aus Böhmen und die Berlinerin Gabriele Münter aus Düsseldorf. Der einzige Münchner unter ihnen stieß erst ein bisschen später zu dem Kreis, er hieß Franz Marc, und spielte, trotz seiner zurückhaltenden Art, schnell eine wichtige Rolle. Auf den hämischen Zeitungsartikel reagierte er mit einem enthusiastischen Brief an die Künstlergruppe. Die enge kreative und geistige Verbundenheit, die intellektuelle Freundschaft zu Wassily Kandinsky sollte bald dem Blauen Reiter auf die Sprünge helfen.
Franz Marc, der Stille, eher in sich Gekehrte, mit klarem Verstand und fundierter, auch theologischer Bildung Ausgestattete, wurde 1880 in München geboren. Sein
Geburtshaus
in der Schillerstraße 35 13 ( ▶ B 6 ) steht noch. Eine Gedenktafel mit einem Relief erinnert an ihn. Franz rang mit sich, denn er sollte Theologie studieren, nach einjährigem Militärdienst entscheidet er sich anders: Wie bei seinem Vater fallen die Würfel für die Malerei. Im Oktober 1900 immatrikuliert er sich an der
Akademie der Bildenden Künste
1 ( ▶ F 1 ) , die 1808 von König Maximilian I. gegründet wurde. Das palastartige dreiflügelige Anwesen von 1886 geht auf den Baumeister Gottfried von Neureuther zurück. Noch heute gilt die Akademie, die 2005 um einen spektakulären Erweiterungsbau des Wiener Architektenbüros Coop Himmelb(l)au ergänzt wurde, als eine der bedeutenden Kunstschulen Europas.
FRANZ MARC UND DIE FRAUEN
Franz kehrte der Akademie aber nach kurzem Studium den Rücken, frustriert vom allzu akademischen, der Münchner Malerschule des 19 . Jahrhunderts verhafteten Unterricht. In den folgenden Jahren hatte der ungewöhnlich gut aussehende Marc alle Hände voll mit Liebesdingen zu tun. Eine Affäre mit einer neun Jahre älteren, verheirateten Ehefrau eines Universitätsprofessors und, nach der schmerzhaften Trennung, eine »ménage à trois« mit den Künstlerinnen
Maria Franck
und
Marie Schnür,
die nach emotionalem Gezerre und psychosomatischen Erkrankungen der beteiligten Damen zugunsten Maria Francks beendet wurde. Drei Liebende am Rande des Nervenzusammenbruchs, das war auf Dauer mit kreativer Arbeit nicht vereinbar.
Im Mai 1909 zog Marc mit seiner nun endgültigen Partnerin Maria Franck nach Sindelsdorf in die Nähe von Murnau. In wieder gewonnener Konzentration kehrte er Schritt für Schritt der traditionellen Malerei den Rücken, um sich mit abstrahierenden, auf das Wesentliche zielenden Tierdarstellungen zu befassen. Er selbst sagte: »Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu
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