München Manhattan #1
– die Angst um sein Kind war ihm deutlich anzumerken gewesen.
Wann hatte sich Robert eigentlich in diesen aufgeblasenen, selbstgerechten Mann verwandelt, der jetzt neben ihr stand? Susanna hatte ihn wie durch einen hartzeichnenden Filter betrachtet. Wo war ihr wunderbarer Robert geblieben? Wie hatten sie sich in dieses verbitterte, sich gegenseitig immer Vorwürfe machende und lieblose Paar verwandelt?
Robert hatte sich langsam zu ihr gedreht und sie in den Arm genommen. Aber sie wollte ihn nicht berühren. Sie hatte die Umarmung vorsichtig gelöst und sich von ihm weggedreht.
Nachdem sie ihm die Diagnose der Ärzte erklärt und ihm versichert hatte, dass Anna nur schlafen würde und nicht bewusstlos sei, hatte sie ihn angefahren.
„Robert. Wo warst du? Ich habe den ganzen Abend versucht dich zu erreichen. Ich habe dir sicher 20 Nachrichten auf deiner Mailbox und zuhause auf dem Festnetz hinterlassen.“
Susannas Stimme war nicht laut gewesen, dafür aber so bestimmt, dass Robert ihr nicht weiter in die Augen schauen konnte. Er war an ihr vorbei ans Fenster gegangen, hatte hinaus in den Krank enhausgarten gesehen und gesagt: „Es tut mir so leid, dass ich nicht da war. Ich hatte morgens ein Treffen mit unserem Banker. Danach wusste ich einfach nicht was ich tun sollte. Ich dachte, mir platzt der Kopf. Also bin ich einfach losgefahren. Raus aus München. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich Richtung Schliersee fahre.
Und dann bin ich an unsere Stelle gefahren. Du weißt schon. Da wo diese schöne Eisdiele ist, gleich an dem Spielplatz, wo wir auch …“
„Robert!“, hatte Susanna ihren Mann angefahren. „Willst du mich verarschen? Du gehst zur Bank und dann fährst du an den Schliersee , weil du Kopfschmerzen hattest? Sehe ich aus, als sei ich ein Vollidiot? Ich habe keine Zeit für so einen Schwachsinn! Wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, dann geh jetzt bitte. Ich habe hier wirklich genug um die Ohren!“
Susanna hatte sich von ihrem Mann weggedreht und auf Anna gedeutet. Sie hatte mit den Tränen gekämpft.
„Nein, wirklich, Susanna. Du musst mir glauben. Ich wollte dir ja alles erklären. Aber ich bin sehr spät nach Hause gekommen und habe dann auf dem Sofa geschlafen. Erst heute Morgen habe ich gemerkt, dass ihr nicht da seid und die Nachrichten abgehört.“ Flehend hatte Robert Susanna angeschaut. Aber Susanna hatte mit dem Kopf geschüttelt.
„Bitte geh’ jetzt. Das hier ist nicht gut für Anna. Ich kann mich jetzt nicht auch noch mit deiner Geschichte befassen. Wirklich nicht. Ich brauche meine Kraft für unser Kind.“
Die Tür war aufgegangen und der Stationsarzt hatte seine Visite gemacht.
Das Telefon klingelt immer noch. Zögernd nimmt Susanna das Gespräch an. Ja, es ist Robert.
„Susanna, mein Engel, es tut mir so leid. Bitte verzeih mir!“
***
MANHATTAN. SONNTAG 13 UHR
In Sophie habe ich wirklich eine Freundin gefunden. Und das ist bei mir etwas besonderes, denn Freunde habe ich eigentlich keine. Das heißt nicht, dass ich jeden Abend alleine in meiner Wohnung sitze. Nein. Ich werde zu jeder wichtigen Party eingeladen. Immer schon. Seitdem ich ein kleines Mädchen bin. Ich mache mir da nichts vor. Früher wurde ich eingeladen, weil ich die Tochter meines Vaters war. Heute werde ich eingeladen, weil ich das Vermögen meines Vaters habe.
Mein Seelenklempner meint, dass ich nicht fähig wäre wirkliche Beziehungen aufzubauen. Der Grund dafür, meint er, liegt in meiner Kindheit. Ich hätte nie eine wirkliche Bindung zu meinen Eltern gehabt. Was wohl heißen soll, ich wurde als Kind nicht genügend geliebt.
Das stimmt nicht. Mein Vater hat mich sehr geliebt. Für ihn war ich die kleine Prinzessin. Er hatte zwar sehr wenig Zeit für mich, aber er hat mich abgöttisch geliebt. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht so sicher. Die hätte eigentlich Zeit für mich gehabt. Aber gekümmert hat sie sich eigentlich nie um mich. Da waren die Kindermädchen ja liebevoller. Mit zehn Jahren wurde ich dann in ein Internat in der Schweiz gesteckt und zwei Jahre später waren meine Eltern tot.
Mein Therapeut meint, das hätte ich nie richtig verarbeitet. Und deshalb habe ich keine Freunde? Ich habe keine Freunde, weil ich keine haben will!
Das ist meine bewusste Entscheidung und ich finde sie gut! Ob ich mich einsam fühle? Nein, eigentlich nicht. Außer an Weihnachten. Und das obwohl ich dieses Fest absolut überbewertet finde. Es ist nicht so, dass ich dann wirklich allein
Weitere Kostenlose Bücher