Münsterland ist abgebrannt
nur Knut Hansen blieb mit den beiden Deutschen zurück.
«Was geschieht jetzt?», fragte Bastian.
«Oh.» Hansen grinste. «Tor holt Brote und Lars Dr. Vogtländer.»
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Vogtländers Kleider schlabberten um einen erbärmlich abgemagerten Körper, die Wangenknochen stachen fast durch die Gesichtshaut. Als der Biologe Yasi entdeckte, senkte er sofort den Kopf, auch Bastian würdigte er keines Blickes. Sie begrüßten ihn, doch Vogtländer murmelte nur eine knappe Erwiderung. Und wie um die Distanz zu seinen Landsleuten zu unterstreichen, beantwortete er die Fragen der Polizisten ausschließlich auf Norwegisch.
Nach einiger Zeit konnte sich Yasi nicht mehr zurückhalten und wandte sich direkt an Vogtländer: «Haben Sie ihnen von den Experimenten in Peking erzählt? Von den toten Mosuo-Frauen?»
«Es gab keine Toten.»
«Sie lügen», fuhr Yasi ihn an. «Ich habe mit Bo gesprochen.»
«Bo weiß nichts», beharrte Vogtländer. «Er spielt sich auf.»
«Und warum haben Sie mir gestern gesagt, dass es Ihnen leidtut?», mischte sich Bastian ein. «Dass Sie die Wahrheit aufgeschrieben haben und in ein paar Tagen veröffentlichen werden?»
«Das habe ich gesagt, weil ich mich von Ihnen bedroht fühlte.»
«Warum tun Sie das?», fragte Yasi. «Vor wem haben Sie wirklich Angst?»
Vogtländer schüttelte den Kopf. «Das ist die Wahrheit.»
Das Telefon klingelte, und Tor nahm den Anruf an. Bastian merkte an der Reaktion des norwegischen Polizisten, dass etwas Ungewöhnliches passiert sein musste. Er wirkte sehr besorgt, sogar Vogtländer lauschte jetzt aufmerksam dem Telefonat.
«Was ist los?», fragte Bastian Knut Hansen.
«Ein Selbstmorddoppel auf dem Cruise Liner, der heute anlegt. Eine ältere Frau und ein junger Mann. Offensichtlich ein Liebespaar.»
«Habt ihr die Namen?», fragte Bastian und kannte doch schon die Antwort.
Hansen gab die Frage an Tor weiter, der sie wiederum seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung stellte. Aus dem, was Tor anschließend sagte, hörte Bastian den Namen heraus, den er erwartet hatte: Lambert.
«Das war kein Selbstmord, das war Mord», sagte er. Dann schaute Bastian sich nach Vogtländer um. Doch der Biologe war verschwunden.
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Sechsundzwanzig
Helene war tot. Aber er empfand keine Trauer. Nicht mal Mitleid. Er hatte nur Angst um sein eigenes kleines beschissenes Restleben. Wo war seine Gleichmütigkeit hin? Wo das Einverständnis mit dem Tod? Alles weg. Übrig geblieben nur der kreatürliche Wille zum Überleben, vermutlich ein genetisch gesteuerter Instinkt aus grauer Vorzeit. Nur noch einen Tag, eine Woche, einen Monat leben, mehr verlangte er ja gar nicht. Seinen Nachlass regeln, seinem Sohn in die Augen blicken, sich verabschieden – waren das übertriebene Wünsche?
Dass Helene ermordet worden war, stand für Vogtländer außer Frage. Selbstmord aus Liebe? Was für ein hirnverbrannter Schwachsinn! Niemals hätte sich Helene zu so etwas Sentimentalem hinreißen lassen. Nein, der Selbstmord musste arrangiert worden sein. Vermutlich von denselben Tätern, die auch Mergentheims Selbstmord vorgetäuscht hatten und die Christians Haus in den Baumbergen angezündet hatten. Und die jetzt ihn jagen würden. Er war der letzte Überlebende, der letzte Schuldige, der Letzte, der beseitigt werden musste.
Vogtländer hörte die Sirene des Kreuzfahrtschiffes. Die Mörder würden das Schiff bald verlassen. Wahrscheinlich wussten sie, wo er wohnte. Es war ja kein Geheimnis, der Kripo-Mann und die Mosuo-Frau hatten ihn schließlich auch gefunden. Spätestens in einer Stunde durfte er sich in seinem Haus nicht mehr sicher fühlen. Ihm blieb verdammt wenig Zeit.
Seine Nachbarin Tine Olsen, die im Kaufhaus Lompen arbeitete, stand neben ihrem hochrädrigen Geländewagen und winkte kurz, als er an ihr vorbeifuhr. Fünfzig Meter weiter stoppte Vogtländer vor seinem eigenen mattgelben Haus. Er stieß die Wagentür auf und stieg aus. Im selben Moment durchzuckte ihn ein furchtbarer Schmerz, der ihm fast das Bewusstsein raubte. Gekrümmt stützte er sich auf der Motorhaube ab. Dieser verfluchte Krebs, der ihn auffraß. Warum musste er sich ausgerechnet jetzt bemerkbar machen?
Die zehn Schritte bis zum Haus wurden zur Qual. Sich an der Holzfront festhaltend, wankte Vogtländer zur Haustür. Während ihm der Schweiß in die Augen lief, tastete er in der Hosentasche nach dem Schlüssel.
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Wellenförmig verebbten die Schmerzen. Die Pillen taten ihre
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