Münsterland ist abgebrannt
um Reklamationen am Ende der Reise zu vermeiden.
Bastian und Hansen stellten sich neben den Kapitän, der die digitale Abbildung von Mareike Vollmer auf seinen Bildschirm holte.
«Hast du die Mädchen schon mal gesehen?», fragte der norwegische Polizist seinen deutschen Kollegen.
Und ob. Sie hatte ihre Haare gekürzt und blondiert und versucht, mit reichlich Make-up ihre Gesichtszüge zu verändern. Trotzdem erkannte Bastian sie sofort. Mareike Vollmer war Annika Busch.
Hansen nahm die Mitteilung mit Bestürzung auf. «Oh, verdammt.»
«Sie ist um acht Uhr dreißig von Bord gegangen», ergänzte der Kapitän. «Zusammen mit ihren Kabinengenossen.»
«Wir benötigen Verstärkung», stellte Bastian sachlich fest. «Am besten, wir greifen zu, sobald die drei das Schiff bei ihrer Rückkehr betreten. Doch dazu brauchen wir mehr Leute, sonst könnte die Situation außer Kontrolle geraten. Außerdem muss der Flughafen überwacht werden. Vielleicht haben sie gar nicht vor, weiter mit dem Schiff zu fahren.»
Hansen kratzte sich am Kopf. «Verstärkung? Wie meinst du das?»
«Na, so wie ich es sage, Knut. Mehr Polizisten. Wir sollten ihnen mindestens dreifach überlegen sein.»
«Das ist ein Problem.»
Eine Ahnung beschlich Bastian. «Heißt das, die Polizei auf Spitzbergen besteht nur aus drei Beamten?»
«Nein, wir sind vier. Aber Harald hat heute seine freien Tag.»
Und Bastian selbst war zum Zuschauen verdammt, weil man ihm keine Pistole anvertrauen würde. «Scheiße.»
«Du sagst es.»
«Du musst diesen Harald anrufen.»
«Geht nicht. Er ist auf See. Mit seinem Boot.»
«Dann hol wenigstens Tor hierher. Jeder Mann ist wichtig.»
«Gute Idee», nickte Hansen. «Ich sage ihn Bescheid.»
Ein Klingelton unterbrach ihre Unterhaltung. Kapitän Visser aktivierte einen Bildschirm, der den Vorraum der Brücke zeigte. Lars, der Polizist mit dem Spurensicherungskoffer, gestikulierte wild in Richtung Kamera.
Visser drückte auf einen Knopf, und Lars betrat die Brücke. Kaum hatte er Knut Hansen entdeckt, überschüttete er ihn mit einem Wortschwall. Bastian sah, dass Hansen bleich wurde. Die schlechten Nachrichten rissen anscheinend nicht ab.
«Es hat einen Störfall gegeben», sagte Hansen. «An der
Global Seed Vault
.»
«Der globalen Samenbank», übersetzte Visser.
«Jemand ist ohne Permission reingegangen.»
«Arbeitet Vogtländer nicht bei der Samenbank?», erkundigte sich Bastian.
Hansen nickte.
«Dann sind sie bereits hinter ihm her.»
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Achtundzwanzig
Er würde es nicht schaffen. Er würde hier sterben. Den Kältetod. Erfroren in der Lagerhalle der globalen Samenbank. Was für ein Scheißtod. Was für ein Scheißleben. Nichts, rein gar nichts hatte er aus seinem Leben gemacht. Dabei hatte es eigentlich ganz vielversprechend angefangen. Behütete Kindheit. Überbehütet manchmal, doch ohne große Schrecken. Der Vater Lehrer, altsprachlich, ein bisschen streng, ein bisschen klugscheißerisch, ansonsten ganz okay. Die Mutter verhuscht, aber liebevoll. Redete dem Vater nach dem Mund, solange er anwesend war, verwöhnte den kleinen Ulrich, sobald sie allein waren. Ulrich, das Einzelkind. Intelligent, schwächlich, von seinen Klassenkameraden gehänselt, in Maßen neurotisch, ein Einzelkind eben. Für Geschwister fehlte das Geld. Es gab Wichtigeres. Ein neues Auto, Sparen für ein Eigenheim, der jährliche Italienurlaub. Drei Wochen Riviera. Cesenatico, ja, so hieß der Ort. Eine Pension, in der man Deutsch sprach. Sand, Hitze, Langeweile. Der kleine Ulrich baute Sandburgen und spielte mit anderen Kindern. Die Eltern tranken italienischen Rotwein, mittags, abends. Der Vater erzählte vom Krieg, Schützengraben am Wolchow in Russland, fröhliches Schießen zwischen Deutschen und Russen. Nach Rotwein und Krieg gingen die Eltern aufs Zimmer. Ulrich musste draußen bleiben und noch eine Runde spielen. Erst später verstand er, was die Eltern machten, wenn sie ihn nicht dabeihaben wollten. Eine behütete Kindheit eben. Man sprach nicht über Sex. Statt Aufklärung ein Aufklärungsbuch, das ihm die Mutter verschämt zusteckte. Über Geld redete man umso mehr. Für was es reichte und für was nicht. Die Nachkriegszeit war vorbei, man wollte leben. Für ein Kind reichte das Geld. Gymnasium, Studium, der Junge sollte es besser haben. Und Ulrich bemühte sich, bestand die Prüfungen mit Bestnoten. Alle waren der Überzeugung, dass aus ihm ein exzellenter Wissenschaftler würde.
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