Muensters Fall - Roman
stimmen könnte?«
»Ich weiß nicht«, sagte Moreno. »Was meint ihr?«
»Glauben soll man in der Kirche«, sagte Rooth. »Schließlich warst du es, die dort gewesen ist. Woher sollen wir verdammt noch mal wissen, was sie in den Taschen hatte?«
»Megastark«, sagte Jung. »Klingt total verrückt.«
Dann wurde es still im Zimmer. Moreno stand auf und begann vor dem Fenster hin und her zu gehen. Reinhart betrachtete sie, während er seine Pfeife säuberte und abwartete. Rooth schluckte seinen Kopenhagener hinunter und schaute sich nach einem neuen um. Als er keinen mehr entdeckte, seufzte er und zuckte mit den Schultern.
»Okay«, sagte er. »Nachdem wir jetzt alle die Fähigkeit zum Sprechen verloren haben, muss ich wohl den Taktstock ergreifen. Sollen wir noch mal hinfahren? Zum vierundsiebzigsten Mal? Wir müssen wohl zumindest kontrollieren, ob noch was von dieser Zeitschrift rumliegt, oder? Und dann können wir gucken, ob wir irgendwelche blutigen Reisetaschen finden. Aber über die wären wir ja bestimmt schon lange gestolpert. Wenn es stimmt, was Moreno sagt, dann ist das das aller ... ja, verdammt, das aller, aller ...«
Er fand keine Worte. Reinhart legte seine Pfeife hin und räusperte sich nachdrücklich.
»Jung und Moreno«, sagte er. »Ihr kennt ja den Weg.«
»Worauf wartet ihr noch?«, fragte Rooth.
»Es gibt da nur eins, was ich nicht verstehe«, sagte Inspektorin Moreno, nachdem sie festgestellt hatten, dass es in der Leverkuhnschen Wohnung am Kolderweg nicht einen einzigen Quadratzentimeter von der Septembernummer des Breuwerblatts gab – und auch keine blutigen Taschen. »Wenn es also wirklich sie war, die das getan hat, dann ...«
»Was dann?«, fragte Jung.
»Warum?«, fragte Moreno.
»Warum?«
»Ja. Warum um alles in der Welt bringt sie auch noch Else Van Eck um?«
Jung dachte drei Sekunden lang nach.
»Was meinst du denn, wo sie es gemacht hat?«, fragte er. »Ich meine, das Zerlegen. Wenn wir erst mal aufs Warum scheißen.«
Moreno schüttelte den Kopf. »Woher soll ich das denn wissen? Vielleicht in der Badewanne ... ja, sie hat sie mit einer Bratpfanne erschlagen und dann in der Badewanne zerteilt, das klingt doch logisch, oder? So würde ich es jedenfalls tun. Dann braucht man hinterher nur noch abzuspülen, ein bisschen Seife oder Scheuermittel notfalls. Aber warum? Sag mir das! Wir können nicht immer nur in den Gründen herumwühlen, es muss auch einen Anlass gegeben haben.«
»Ich weiß nicht«, sagte Jung. »Ich bin nur eins von diesen dummen blinden Hühnern.«
Um Viertel vor zwei, an dem gleichen niederschlagsfreien Januardonnerstag, klopfte es rücksichtsvoll an der Tür zum Arbeitszimmer von Kommissar Reinhart.
»Herein«, sagte Reinhart.
Die Tür wurde vorsichtig geöffnet, und der Linguist Winckelhübe steckte seinen Kopf herein.
»Ja, was gibt’s?«, fragte Reinhart und schaute von seinem Papierstapel auf.
»Nun ja, ich habe so eine kleine Analyse gemacht«, erklärte Winckelhübe und kratzte sich am Bauch. »Ich bin mir zwar nicht hundertprozentig sicher, aber ich bin bereit, einiges drauf zu wetten, dass er von Seehunden handelt. Der Text, meine ich.«
»Von Seehunden?«, wiederholte Reinhart.
»Von Seehunden«, nickte Winckelhübe.
»Hm, hm«, brummte Reinhart. »Genau. Das ist das, was wir uns auch gedacht haben. Vielen, vielen Dank, Sie können Ihre Rechnung dem Polizeipräsidenten schicken.«
Winckelhübe sah etwas ratlos aus.
Es war zu sehen, dass die Therapeutin Clara Vermieten sich um mehrere Patienten des Gellnerhemmets kümmerte. Im Bücherregal des engen Zimmers, in das deBuuijs Münster geführt hatte, waren vier der Regalbretter mit Initialen beschriftet. I.L. stand ganz oben, und dort lagen mehrere Stapel Kassettenbänder, ordentlich immer zehn Stück aufeinander. Münster rechnete aus, dass es vierundsechzig sein mussten. Die Bretter weiter unten enthielten deutlich weniger.
Auf dem winzigen Schreibtisch stand das Porträt eines dunkelhaarigen Mannes in den Dreißigern, ein Telefon und ein Kassettenrekorder.
Aha, dachte Münster. Dann muss ich ja nur noch loslegen.
Er nahm einen der Stapel herunter. Auf dem Rücken jeder
Kassette stand ein Datum, wie er feststellte. 4.3., 8.3., 11.3.... und so weiter. Er nahm eine auf gut Glück heraus und drückte sie in den Rekorder. Allem Anschein nach war sie zurückgespult, denn sie begann mit einer Stimme, von der er annahm, dass sie Clara Vermieten gehörte. Sie erklärte,
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