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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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an welchem Datum die Einspielung stattfand.
    »Gespräch mit Irene Leverkuhn am fünften April neunzehnhundertsiebenundneunzig.«
    Danach eine kurze Pause.
    »Irene, ich bin’s. Clara. Wie geht es dir heute?«
    »Mir geht es gut«, antwortete Irene Leverkuhn mit der gleichen einförmigen Stimme, der er vor einer Weile zugehört hatte.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte die Therapeutin. »Ich denke, wir sollten uns ein bisschen unterhalten, wie immer.«
    »Wie immer«, sagte Irene Leverkuhn.
    »Hat es heute geregnet?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Irene Leverkuhn. »Ich bin nicht draußen gewesen.«
    »Es hat geregnet, als ich hergefahren bin. Ich mag Regen gern.«
    »Ich mag Regen nicht«, sagte Irene Leverkuhn. »Man wird nass davon.«
    »Willst du dich wie immer hinlegen?«, fragte Clara Vermieten. »Oder willst du lieber sitzen bleiben?«
    »Ich will mich hinlegen. Ich lege mich immer hin, wenn wir reden.«
    »Dann leg dich jetzt hin«, sagte Clara Vermieten. »Brauchst du eine Decke, ist dir vielleicht ein bisschen kalt?«
    »Mir ist nicht kalt«, sagte Irene Leverkuhn.
    Münster spulte das Band ein Stück vor und schaltete es wieder ein.
    »Wer ist das?«, hörte er die Therapeutin fragen.
    »Ich erinnere mich nicht so genau«, antwortete Irene Leverkuhn.
    »Aber du kennst seinen Namen?«

    »Ich kenne seinen Namen«, bestätigte Irene Leverkuhn.
    »Wie heißt er?«, fragte Clara Vermieten.
    »Er heißt Willie.«
    »Und wer ist Willie?«
    »Willie ist der Junge, der in meine Klasse geht.«
    »Wie alt bist du jetzt, Irene?«
    »Ich bin zehn Jahre alt. Ich habe ein blaues Kleid gekriegt, aber da ist ein Fleck drauf.«
    »Ein Fleck? Wie ist der dahin gekommen?«
    »Der Fleck ist dahin gekommen, als ich ein Eis gegessen habe«, erklärte Irene Leverkuhn.
    »War das heute?«, fragte Clara Vermieten.
    »Das war heute Nachmittag. Vor einer Weile.«
    »Ist es Sommer?«
    »Es war Sommer. Jetzt ist es Herbst, die Schule hat angefangen.«
    »In welche Klasse gehst du?«
    »Ich habe in der vierten angefangen.«
    »Wie heißt deine Lehrerin?«
    »Ich habe keine Lehrerin. Wir haben einen Magister. Er ist streng.«
    »Wie heißt er?«
    »Er heißt Töffel.«
    »Wo bist du im Augenblick?«
    »Im Augenblick bin ich natürlich in unserem Zimmer. Ich bin von der Schule nach Hause gekommen.«
    »Was machst du?«
    »Nichts.«
    »Was willst du tun?«
    »Ich habe einen Fleck auf meinem Kleid, ich will in die Küche gehen und ihn rauswaschen.«
    Münster stellte wieder aus. Er warf einen Blick auf die Kassettenstapel im Regal und stützte seinen Kopf in die rechte Hand. Was mache ich da?, dachte er.
    Er spulte weiter vor und hörte noch eine Minute zu. Irene erzählte, in welches Schutzpapier sie ihre Schulbücher einwickelte
und was es in der Schulkantine zu essen gegeben hatte.
    Er spulte das Band zurück und schob es wieder in seine Hülle. Lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schaute aus dem Fenster. Dann durchfuhr ihn ein Schauer. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er gerade einem Gespräch zugehört hatte, das stattgefunden hatte, ja wann nur? Irgendwann Anfang der sechziger Jahre höchstwahrscheinlich. Es war zwar vor weniger als einem Jahr aufgenommen worden, aber in dem Moment hatte Irene Leverkuhn sich weit zurück in ihrer Kindheit befunden – irgendwo in diesem finsteren kleinen Haus in Pampas, das er sich vor ein paar Wochen angesehen hatte. Verdammt, wenn das nicht sonderbar war!
    Gleichzeitig bekam er plötzlich eine Art Respekt vor dieser Therapeutin und dem, was sie da trieb. Ihm selbst war es nicht gelungen, auch nur ein vernünftiges Wort aus der malenden Frau herauszubekommen, und hier saß sie und erzählte dieser Clara Vermieten dies und das aus ihrem Leben.
    Ich muss meine Meinung über die Psychoanalyse ändern, dachte Münster. Es ist höchste Zeit.
    Er schaute auf die Uhr und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Sich hier durch ein Band nach dem anderen durchzuhören, erschien ihm nicht sonderlich effektiv, wie faszinierend es auch sein mochte. Er stand auf und studierte stattdessen die Datierung im Regal. Das allererste Band war allem Anschein nach vor gut einem Jahr eingespielt worden. Am 25.11.1996. Er nahm den ganz rechten Stapel herunter, der nur aus vier Kassetten bestand. Die unterste war auf den 16.10. datiert, die oberste auf den 30.10.
    Er ging zurück zum Schreibtisch, nahm den Hörer ab, und nach einigen Komplikationen hatte er Hedda deBuuijs am Apparat.
    »Nur eine Frage«, sagte

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