Muensters Fall - Roman
versuchte, die Körperwärme so gut es ging zu halten, während sie die wenigen Menschen betrachtete, die sich an diesem Regenwettermorgen hinausgewagt hatten. Drei oder vier verbissene Hundebesitzer. Ein Jogger mit rotem Trainingsanzug und Kopfhörern auf den Ohren, und ein armer alter Mann, der mit einem Einkaufswagen unterwegs war und in den Papierkörben nach leeren Flaschen suchte ... Auch ein paar beschlagene Kleinwagen fuhren vorbei, aber kein Bus. Egal. Sie war sich sowieso nicht ganz sicher, welcher denn der richtige wäre. Nach einer Weile begann sie ernsthaft zu frieren, und auch wenn ihr klar war, dass ihr Eindruck, der Regen hätte etwas nachgelassen, eher aus ihrer Einbildung stammte, stand sie doch auf und machte sich wieder auf den Weg. Sie stellte fest, dass ihre Gedanken keinen Regeln mehr folgten, sie flatterten in ihrem Kopf hin und her, wie unruhige, nervöse Träume, aber bald wurden sie doch von dem Wunsch nach einem warmen Getränk überlagert. Oder einem starken.
Oder beidem.
Als sie endlich wieder in das ordentliche Reihenhaus in der Geldenerstraat zurückkam, war es zehn Minuten nach eins, und am Küchentisch hatte Emmeline von Post von Ruth Leverkuhn Gesellschaft bekommen.
Sobald sie ihre Mutter in der Türöffnung erblickte, stand Ruth auf. Räusperte sich, strich ihr Kleid zurecht und machte eine Art halbherziger Gebärde mit den Händen.
Marie-Louise Leverkuhn blieb stehen und sah sie mit herabhängenden Armen an.
Keine von beiden sagte etwas. Es vergingen fünf Sekunden. Emmeline von Post klapperte mit der Kaffeetasse auf der Untertasse und schaute auf die Regentropfen, die die Freundin mit hereingebracht hatte und die jetzt auf die Türschwelle und auf ein Stück des Linoleums fielen.
Macht doch was, dachte sie. Warum sagt ihr nichts?
12
»Und?«, fragte Münster. »Ich hoffe, du hast sie bloßgestellt?«
Sie hatten eine Fensternische bei Adenaar’s erwischt und waren im Tagessalat schon ein Stück weit gekommen.
»Natürlich«, sagte Ewa Moreno. »Nackt, in einem Netz von Lügen ... nein, ich weiß nicht. Ich habe fast nur mit Wauters geredet. Palinski war auf dem Weg ins Krankenhaus für irgendeine Kontrolluntersuchung. Aber trotzdem habe ich den Eindruck gekriegt ...«
Sie zögerte und schaute aus dem Fenster.
»Was für einen Eindruck?«, fragte Münster. »Was denn?«
»Dass sie was verbergen. Ich habe Wauters direkt gefragt, ob sie Geld gewonnen haben, und um ehrlich zu sein, er wirkte etwas zu gut vorbereitet. Zog die Augenbrauen hoch, machte große Gesten, zog die ganze Show ab. Würde mich nicht wundern, wenn sie tatsächlich eine hübsche Summe einkassiert haben.«
»Aber du hast ihn nicht unter Druck gesetzt?«
»Ich bin nicht recht in Form«, entschuldigte Moreno sich. »Das hab ich dir ja schon gesagt. Ich wollte nichts vermurksen, denke, es ist besser, wenn wir sie uns einzeln im Präsidium vornehmen ... eine Lampe ins Gesicht und so. Aber was Bonger betrifft, so scheinen sie doch ehrlich verwundert zu sein, alle beide. Wauters behauptet, er wäre schon auf dem Boot gewesen und hätte ihn gesucht, und Palinski wollte angeblich auf dem Rückweg vom Krankenhaus dort vorbeifahren.«
Münster dachte nach.
»Dann nimmst du also an, dass sie Geld gewonnen haben, dass das aber nichts mit Bongers Verschwinden zu tun hat?«
Moreno nickte.
»Und folglicherweise auch nichts mit Leverkuhn«, stellte sie fest. »Nein, das scheint mir einfach eine Nummer zu heftig. Ich glaube, die beiden haben schlicht und ergreifend nur Angst, unter Verdacht zu geraten. Zumindest Wauters ist ziemlich helle, und er kann sehr schnell kapiert haben, wo das Risiko liegt, als er erfuhr, was mit Leverkuhn passiert ist ... Es stehen nicht gerade wenige Krimis in seinem Bücherregal.«
»Außerdem können sie was dagegen haben, der Witwe das ihr zustehende Viertel zu geben«, merkte Münster an. »Nun ja, dann werden wir ihnen eben morgen einen heißen Empfang bereiten. Aber trotzdem, es ist doch verdammt merkwürdig, dass Bonger sich am gleichen Abend in Luft aufgelöst hat, als Leverkuhn ermordet wurde, das musst du doch zugeben.«
»Ja, natürlich«, nickte Moreno. »Wird er gesucht?«
Münster schaute auf die Uhr.
»Ist vor spätestens einer Stunde rausgegangen.«
»Hat er Verwandte?«
»Einen Sohn in Afrika. Von dem hat er seit 1985 nichts mehr gehört. Eine senile ältere Schwester im Gemejnte. Die Ehefrau ist vor acht Jahren gestorben, da hat er sich auf dem Kanal
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