Muensters Fall - Roman
nämlich.
Münster klopfte an die Scheibe, und die Tauben erhoben sich mit trägen Flügeln.
Es gab natürlich auch nichts, was Rooths Theorie von einem verrückten Fixer widersprach. Keinen Hauch.
Gehupft wie gesprungen, dachte Münster.
Ruth Leverkuhn tauchte zehn nach zwölf auf, zehn Minuten verspätet, eine Tatsache, die sie lang und breit bedauerte und für die sie sich ausführlich entschuldigte. Sie war ein bisschen spät losgekommen. Viel Verkehr, und dann hatte sie einfach keinen Parkplatz finden können, weder auf dem Markt noch unten in Zwille, jetzt stand sie auf Anckers Steeg und hatte nur für eine halbe Stunde Geld eingeworfen. Sie hoffte, das würde reichen.
In Anbetracht dessen, was sie zu besprechen hatten, nahm Münster diese trivialen Informationen mit unverhohlener Verwunderung auf. Er beobachtete verstohlen, wie sie ihren braunen Mantel über den freien Stuhl am Tisch legte, wie sie umständlich Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Handtasche hervorkramte, wie sie ihre Brille auf der Nase und die Plastikblumen auf dem Tisch zurechtrückte.
Sie war ungefähr in seinem Alter, aber ziemlich übergewichtig und erschöpft. Das braun gefärbte, schulterlange Haar hing wie eine traurige, ungewaschene Gardine um ihr bleiches Gesicht. Unruhe und Unsicherheit umgaben sie fast wie ein schlechter Körpergeruch, und erst als sie sich eine Zigarette anzündete, unterbrach sie ihr nervöses Geplapper.
»Haben Sie mit Ihrer Mutter gesprochen?«, fragte Münster.
»Ja.« Sie nickte, zog an der Zigarette ohne zu inhalieren und betrachtete ihre Fingernägel. »Ja, ich habe sie gleich angerufen, nachdem ich mit Ihnen gesprochen habe. Das Ganze ist schrecklich, ich begreife es nicht. Als ich mit dem Auto hierher fuhr, hatte ich das Gefühl, als wäre das Ganze nur ein Traum, ein Albtraum, meine ich. Aber es stimmt also wirklich? Dass jemand ihn getötet hat ... ermordet? Stimmt das?«
»Nach allem zu urteilen, ja«, sagte Münster.
»Aber das ist ja einfach ... zu schrecklich«, wiederholte sie und zog wieder hastig an ihrer Zigarette. »Warum nur?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Münster. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn Sie nichts dagegen haben?«
Sie nickte und rauchte. Die Kellnerin kam zu ihnen und nahm die Bestellung auf: Cafe au lait für Frau Leverkuhn, einen Schwarzen für den Kommissar. Er zog seinen Block heraus und legte ihn vor sich auf den Tisch.
»Hatten Sie eine gute Beziehung zu Ihrem Vater?«, fragte er.
Sie zuckte zusammen.
»Was meinen Sie damit?«
»Genau was ich frage«, sagte Münster. »Ob Sie eine gute Beziehung zu ihm hatten.«
»Ja ... schließlich war er mein Vater.«
»Es kommt schon vor, dass Kinder zu ihren Eltern ein schlechtes Verhältnis haben«, beharrte Münster.
Sie zögerte. Kratzte sich hastig am Rand der linken Brust und rauchte.
»Wir hatten in letzter Zeit nicht viel Kontakt miteinander.«
»In letzter Zeit?«
»Seit ich erwachsen bin, kann man wohl sagen ...«
»So seit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren?«, fragte Münster.
Sie antwortete nicht.
»Warum?«, fragte Münster.
»Es ergab sich einfach so.«
»War das bei Ihren Geschwistern genauso?«
»Im Großen und Ganzen.«
»Wie oft haben Sie denn Ihre Eltern gesehen?«
»Na, wohl ein paar Mal.«
»Einmal im Monat?«
»Wohl eher einmal im Jahr.«
»Einmal im Jahr?«
»Ja ... zu Weihnachten, aber nicht immer. Vielleicht finden Sie ja, dass das komisch klingt, aber die Alten haben auch keine Initiative ergriffen. Wir haben uns ganz einfach nicht verstanden. Warum soll man Konventionen aufrechterhalten, wenn keine der Seiten daran interessiert ist?«
»... ich bin lesbisch«, fügte sie überraschend hinzu.
»Ach so«, sagte Münster. »Und was hat das mit der Sache zu tun?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Ruth Leverkuhn. »Aber die Leute reden doch so viel.«
Münster betrachtete eine Weile die Tauben, die zurückgekommen waren. Ruth Leverkuhn nahm zwei Löffel Zucker in den Kaffee und rührte ihn um.
»Wann haben Sie Ihren Vater das letzte Mal gesehen?«
Sie drückte ihre Zigarette aus und suchte gleich nach einer neuen, während sie überlegte.
»Das ist jetzt wohl fast zwei Jahre her«, stellte sie fest.
»Und Ihre Mutter?«
»Genauso. Wir waren zu Weihnachten da ... vor zwei Jahren.«
Münster machte sich Notizen.
»Haben Sie irgendeine Idee, was passiert sein könnte?«, fragte er. »Hatte Ihr Vater irgendwelche Feinde ... Leute, die
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