Muensters Fall - Roman
niedergelassen.«
Moreno saß eine Weile schweigend da.
»Alles reichlich einsame Typen in diesem Fall«, sagte sie dann.
»Sie hatten einander«, sagte Münster. »Wollen wir noch einen Kaffee trinken?«
»Das wollen wir«, sagte Moreno.
Zum Schluss konnte er nicht länger an sich halten.
»Und dein Privatleben?«, fragte er. »Wie steht’s damit?«
Moreno betrachtete wieder die trübe Aussicht, und Münster war klar, dass sie ihn abschätzte. Offenbar hielt er dem Maßstab stand, denn sie holte tief Luft und streckte den Rücken.
»Ich bin ausgezogen«, sagte sie.
»Von Claus weg?«
Er erinnerte sich zumindest noch an den Namen.
»Ja.«
»Oioioi«, sagte Münster und wartete ab.
»Das ist jetzt einen Monat her«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Ich habe eine Freundin, die für ein halbes Jahr nach Spanien gegangen ist, und ihre Wohnung konnte ich solange übernehmen. – Es hat zwei Tage gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich genau richtig gehandelt habe und dass ich fünf Jahre meines Lebens verschenkt habe.«
Münster versuchte, aufmunternd auszusehen.
»Es gibt Menschen, die verschenken ihr ganzes Leben«, sagte er.
»Darum geht es nicht«, sagte Moreno und seufzte wieder. »Ganz und gar nicht ... ich bin absolut bereit, einen Strich zu ziehen und mit etwas Neuem anzufangen. Erfahrungen sind nun mal Erfahrungen.«
»Zweifellos«, sagte Münster. »Was einen nicht umbringt, macht hart. Und was ist nun nicht in Ordnung daran?«
»Claus«, sagte sie und bekam einen Zug um den Mund, wie er ihn noch nie gesehen hatte. »Es geht um Claus. Ich glaube ... ich glaube, er kommt nicht damit zurecht.«
Münster sagte nichts.
»Fünf verfluchte Jahre lang bin ich herumgelaufen und habe mir eingebildet, dass er der Stärkere wäre und dass ich es wäre, die sich nicht traut, loszulassen, und jetzt ...«
Sie ballte die Fäuste, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»... jetzt ist er es, der so scheißjämmerlich drauf ist. Ich weiß, das klingt kalt und hart, aber warum kann er nicht aufhören, sich vor mir zu erniedrigen?«
»Er bettelt und fleht?«, wollte Münster wissen.
»So in der Richtung.«
»Wie oft seht ihr euch?«
Moreno stöhnte.
»Mehrmals in der Woche. Und er ruft mich jeden Tag an. Außerdem ist er krankgeschrieben. Ich habe ihn ja geliebt, aber mit jedem Gespräch geht mehr kaputt ... Er sagt, er wird sich das Leben nehmen, und langsam habe ich schon angefangen, ihm zu glauben. Und das ist das Schlimmste: dass ich ihm glaube.«
Münster stützte den Kopf auf die Hände und kam ihr dadurch etwas näher. Ihm wurde plötzlich klar, dass er sie am liebsten berührt hätte, nur ein leichtes Streicheln über die Wange oder den Arm, aber er traute sich nicht. Er hatte sie höchstens drei oder vier Mal mit Claus Badher gesehen. Er hatte nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber wenn er ehrlich war, dann hatte er auch keinen besonders positiven Eindruck von dem jungen Bankjuristen gehabt. So ein schmieriger Finanzheini, der dreimal am Tag sein Hemd wechselte und sich das Rasierwasser in die Unterhosen kippte. Das war sein Eindruck gewesen, um ehrlich zu sein.
Aber vielleicht lag ja auch nur eine Art primitiver, atavistischer Eifersucht hinter seiner Einschätzung. Er erinnerte sich daran, dass Reinhart einmal gesagt hatte, dass es stinknormal sei, auf jeden dahergelaufenen Kerl eifersüchtig zu sein, der mit irgendeiner schönen Frau zusammen war. Gesund und ganz natürlich. Und dass diejenigen, die das nicht waren, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an irgendeiner Art bösartiger Verdrängung litten. Zum Beispiel an Verstopfung. Wie dem auch sei, es war nicht immer einfach, sein eigenes so genanntes Seelenleben zu durchschauen. Schon gar nicht, wenn es um Frauen ging.
So dachte der Kommissar mit finsterer Aufrichtigkeit.
»Ich verstehe«, sagte er aber nur. »Kann ich irgendwas tun? Du wirkst etwas grau, wenn du den Ausdruck entschuldigst.«
Sie verzog schnell den Mund.
»Ich weiß«, sagte sie. »Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht ausstehen kann, und ich will nicht, dass er jegliche Kontrolle über sich verliert ... ich will nur meine Ruhe haben. Es ist so verflucht schwer, wenn das ganze Dasein sich in dieser Art und Weise auf den Kopf stellt. Ich habe in den letzten Wochen keine Nacht mehr als drei Stunden geschlafen.«
Münster lehnte sich zurück.
»Das Einzige, was hilft, sind Zeit und Kaffee«, sagte er, »noch einen Nachschlag?«
Moreno
Weitere Kostenlose Bücher