Muensters Fall - Roman
lieber denjenigen, die der liebe Gott mit einem Gehirn versehen hat!
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging fort. Fort von diesem trüben Kanal und diesen trübsinnigen Spekulationen. Aber trotzdem, dachte er, als er auf etwas trockeneres Gelände unter den Kolonnaden der Van Kolmerstraat gelangt war ... trotzdem wäre es nicht vollkommen abwegig, diese Hypothese
mit einem Kollegen zu diskutieren. Zum Beispiel mit Rooth. Trotz allem war es nicht unmöglich, dass es sich genau so abgespielt hatte. Es gab darin keine logischen Brüche, und man konnte ja nie wissen.
Wie schon gesagt.
Bevor Münster einen Punkt hinter diesen nicht besonders aufmunternden Arbeitsmontag machte, ging er mit Krause noch einmal die Zeugenbefragung durch. Da war immerhin einiges dran. Nicht sehr viel, aber jedenfalls mehr als gar nichts, wie Krause optimistisch betonte. Eine Hand voll Menschen hatten Leverkuhn und Bonger vor Freddy’s gesehen, und mindestens zwei von ihnen waren überzeugt davon, dass die beiden nicht zusammen fortgegangen waren. Offenbar hatte eine gewisse Unstimmigkeit zwischen den beiden alten Freunden geherrscht, und es schien, als hätte Bonger den Kamerad einfach stehen gelassen und wäre losgegangen. Aber bis jetzt war noch niemand gefunden worden, der einen der beiden Herren zu einem späteren Zeitpunkt bemerkt hatte – auf ihrem Weg zum Kolderweg beziehungsweise zur Bertrandgraacht.
Was Frau Leverkuhns angeblichen Gang zum Entwick Plejn und zurück ein paar Stunden später betraf, so sah es genauso schlecht aus.
Kein Zeuge.
Andererseits war es, wie Krause betonte, immer noch erst Montag, der Fall war noch keine zwei Tage alt, und viele hatten es bisher sicher noch gar nicht geschafft, etwas darüber zu lesen.
Also eine gewisse Hoffnung gab es noch.
Aus irgendeinem sonderbaren Grund fiel es Münster schwer, Krauses apfelwangigen Optimismus zu teilen, und als er zu seinem Auto ins Parkhaus ging, merkte er zu seiner Überraschung, dass er sich alt fühlte.
Alt und müde.
Und das wurde auch nicht besser dadurch, dass Synn ihren Montagskurs in Handelsfranzösisch hatte, und erst recht nicht
dadurch, dass sein Sohn Bart sich das Saxofon von einem Klassenkameraden hatte ausleihen dürfen und jede Sekunde des Abends nutzte, um darauf zu üben.
Zum Schluss schloss Münster das Instrument in den Kofferraum seines Wagens ein und verkündete, dass ein Zehnjähriger noch viel zu unreif für diese Art von Musik sei.
Zehnjährige sollten sich lieber schlafen legen und leise sein. Schließlich war es schon halb elf.
Er für seinen Teil schlief kurz danach mit einem anhaltend schlechten Gewissen, ohne Synn an seiner Seite, ein.
13
»Ich bleibe nur bis heute Abend hier«, erklärte Mauritz Leverkuhn. »Sie will uns nicht bei sich haben, warum soll ich also heucheln?«
Ja, warum?, dachte Münster.
Der Mann, der ihm auf dem Besucherstuhl gegenübersaß, war groß und kräftig, mit fliehendem Haaransatz und der gleichen rötlichen Gesichtsfarbe wie seine Schwester. An seiner Art zu reden und sich zu verhalten war etwas Oberflächliches, Unengagiertes, als wäre er nicht so recht anwesend, aber Münster nahm vorläufig an, dass das wohl mit seinem Beruf zusammenhing.
Mauritz Leverkuhn arbeitete als Handelsreisender und Auslieferer von Papiertischdecken, Servietten und Kerzenmanschetten an Kaufhäuser und Großmärkte.
»Ich brauche nur ein paar Informationen«, sagte Münster. »Bis jetzt sind wir hinsichtlich der Ermordung Ihres Vaters noch nicht sehr weit gekommen, deshalb müssen wir allen Fäden nachgehen, die es überhaupt gibt.«
»Ich verstehe«, sagte Mauritz Leverkuhn.
»Wann haben Sie ihn beispielsweise zum letzten Mal gesehen?«
Mauritz Leverkuhn überlegte.
»Vor ein paar Monaten«, sagte er. »Ich war geschäftlich hier und habe schnell mal reingeschaut. Einen Kaffee getrunken. Habe Mama eine Flasche Kirschlikör mitgebracht, sie hatte Namenstag.«
»Sie hatten keinen sehr engen Kontakt zu Ihren Eltern ... so insgesamt?«
Mauritz Leverkuhn räusperte sich und schob seinen gelbblau gestreiften Schlips zurecht.
»Nein«, sagte er. »Hatten ... haben wir nicht. Keiner von uns Geschwistern.«
»Warum nicht?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Muss man das haben?«
Münster gab keine Antwort.
»Haben Sie Kinder?«
»Nein.«
»Gibt es überhaupt Enkelkinder?«
Mauritz Leverkuhn schüttelte den Kopf.
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Gewesen?«
»Nein.«
Münster wartete ein paar
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