Muensters Fall - Roman
selbst.
Auf der ersten Seite ihres Notizblocks hatte sie die Mieter vom Kolderweg 17 aufgeschrieben. Von oben nach unten:
III.
Ruben Engel
Leonore Mathisen
II.
Waldemar Leverkuhn/ Marie-Louise Leverkuhn
Tobose Menakdise/ Filippa de Booning
I.
Arnold Van Eck/ Else Van Eck
leere Wohnung
Die Tatsachen in diesem Fall waren zunächst: Waldemar Leverkuhn war tot. Sie durchkreuzte seinen Namen und ging die anderen Namen durch.
Und Marie-Louise Leverkuhn? Was gab es über die Witwe zu sagen?
Nicht viel. Sie war kurz nach zwölf von ihrer Kleideraktion zurückgekommen. Moreno hatte ein kurzes Gespräch mit ihr geführt, aber in Anbetracht dessen, was die arme Frau bereits an traumatischen Erlebnissen und harten Verhören hatte durchmachen müssen, hatte sie sich auf das Notwendigste beschränkt. Frau Leverkuhn hatte laut eigener Aussage am Dienstagnachmittag unten bei Else Van Eck Kaffee getrunken, hatte sie dann am Mittwochmorgen auf der Treppe getroffen (als sie selbst auf dem Weg ins Polizeipräsidium war, um mit Kommissar Münster zu sprechen); ansonsten hatte sie die Hausmeisterfrau weder gesehen noch gehört, wie sie behauptete.
Moreno machte hinter Marie-Louise Leverkuhn einen Haken. Und ein Fragezeichen hinter Else Van Eck.
Herr Van Eck seinerseits war in ziemlich schlechter Verfassung gegen halb zwei aus dem Präsidium zurückgekehrt, und auch ihn hatte Moreno abgehakt.
Fehlten noch die Liebesakrobaten Menakdise und de Booning aus dem zweiten Stock, sowie Herr Engel und Frau Mathisen im vierten. Diese vier machten – wenn man die Sache nüchtern betrachtete – die einzigen noch nicht in den Fall verstrickten Personen aus. Neutrale Beobachter (wieder ein Fragezeichen) und mögliche Zeugen.
Sie hatte mit dem jungen Paar angefangen.
Oder genauer gesagt mit Filippa de Booning, da Tobose Menakdise Medizin studierte und den ganzen Tag Vorlesungen hatte. Frau de Booning versprach aber, ihn auch zu befragen, wenn er heimkam, ob er möglicherweise etwas gesehen hätte, was hinsichtlich des Verschwindens der Hausmeistersfrau von Interesse sein könnte. Sie für ihren Teil hatte nichts zu bieten. Zwar war sie im Großen und Ganzen den ganzen Mittwoch zu
Hause gewesen, hatte für die bevorstehende Prüfung in Kulturanthropologie gebüffelt, aber Frau Van Eck hatte sie nicht gesehen.
»Glücklicherweise«, lachte sie und biss sich auf die Zunge. »Entschuldigung, aber sie ist uns gegenüber etwas komisch ... Ich nehme an, Sie wissen, warum?«
Moreno nickte lächelnd. Fühlte plötzlich ein Prickeln auf der Innenseite ihrer Schenkel, als sie sich für einen Augenblick die rothaarige und sehr weißhäutige Filippa im Liebesringen mit ihrem Tobose vorstellte, der, zumindest wenn man dem eingerahmten Foto im Eingang Glauben schenken sollte, schwärzer war als das schwärzeste Schwarz.
Ihr lebt, dachte sie. Gratuliere.
Ruben Engel hatte ganz genauso viel beizutragen – oder sogar noch weniger, wenn man das Prickeln mitzählte. Er war kränklich gewesen und hatte den ganzen Mittwoch im Bett gelegen, erklärte er. Vor allem abends. Moreno schaute sich um und nahm erst einmal an, dass seine Medizin nicht die richtige war. Wenn man sich morgens ein wenig schlecht fühlte, wurde es vermutlich nicht besser dadurch, dass man den ganzen Tag über Rotwein, Bier und Glühwein eins nach dem anderen in sich hineinkippte. Engel schien außerdem ziemlich beunruhigt zu sein über das, was im Haus geschah, wie sie feststellte, und sie hatte Mühe, seine wütenden Ausführungen hinsichtlich Gesetz und Ordnung und dem Verfall der Sitten abzuwehren. Gleichzeitig fand sich ein deutlicher Teil Altersgeilheit in seinen Ergüssen, es herrschte nicht viel Zweifel daran, dass er versuchte, ihren Besuch so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. Aber sie lehnte Kaffee, Glühwein und auch Genever dankend ab, und endlich gelang es ihr, ihn mit dem vagen Versprechen, ihn über die Entwicklung des Falles auf dem Laufenden zu halten, zu verlassen.
Dreckskerl, dachte sie, als sie endlich vor der Tür stand.
Obwohl – revidierte sie ihr Urteil nach ein paar Sekunden – vielleicht war es auch nicht immer so witzig, ein alter, einsamer, übel riechender Kerl zu sein.
Wahrscheinlich war das überhaupt nicht witzig.
Der einzige mögliche Lichtblick erreichte sie bei Frau Mathisen, die Ewa Moreno in ihrer Konstitution an ein Petit-chou-Gebäck erinnerte. Groß, porös und nicht besonders lecker. Ihre Beobachtungen waren nicht gerade
Weitere Kostenlose Bücher