Muensters Fall - Roman
betonte Münster. »Herr Van Eck, vielleicht könnten wir zu Ihnen hineingehen?«
Der kleine Hausmeister nickte und ging voran. Seine dünne Gestalt sah schutzbedürftiger aus als je, als würde der kleine Mann am liebsten gleich vor lauter Verzweiflung in Tränen ausbrechen. Wahrscheinlich hat er in der letzten Nacht kein Auge zugekriegt, dachte Münster.
»Was ist denn passiert?«, fragte er, nachdem sie sich um den winzigen Küchentisch mit der blaukarierten Wachsdecke und der gelben künstlichen Topfpflanze niedergelassen hatten.
Arnold Van Eck breitete die Arme in einer hilflosen Geste aus.
»Sie ist weg.«
»Weg?«, wiederholte Moreno.
»Ihre Frau?«, fragte Münster.
»Ach ja«, sagte Van Eck. »So ist es.«
Ach ja?, dachte Münster. Der spinnt doch. Gleichzeitig wusste er, durch die Arbeit und vieles andere, dass es Menschen gab, die niemals als Besetzung für ihre eigene Rolle in Frage kommen würden, ob es sich nun um einen Film, ein Theaterstück oder das Leben überhaupt handelte. Arnold Van Eck war zweifellos so ein Mensch.
»Erzählen Sie«, bat Moreno ihn.
Van Eck schluchzte ein paar Mal und schob seine dicke Brille über den glänzenden Nasenrücken nach oben.
»Es war gestern«, berichtete er. »Gestern Abend ... sie ist irgendwann im Laufe des Nachmittags verschwunden ... oder des Abends.«
Er verstummte.
»Woher wissen Sie, dass sie nicht einfach irgendwohin gefahren ist?«, fragte Moreno.
»Das weiß ich«, sagte Van Eck. »Gestern war Mittwoch, und da gucken wir immer die Gangsterbräute ... das ist eine Fernsehserie.«
»Das wissen wir«, sagte Moreno.
»Gangster ...?«, wiederholte Münster.
»Außerdem massiert sie mir immer die Beine«, fuhr Arnold Van Eck fort. »Immer mittwochs ... gegen die Krampfadern.«
Er demonstrierte etwas ungeschickt die Griffe und Bewegungen der Ehefrau über Schenkel und Waden. Münster begann so langsam an Van Ecks Verstand zu zweifeln, sah aber, wie Moreno sich etwas notierte, ohne eine Miene zu verziehen, deshalb nahm er fürs Erste an, dass es keinen Grund gab, sich über etwas zu wundern. So verhielten sich anscheinend Menschen, die gemeinsam in den Herbst ihres Lebens gingen. Aber woher konnte Ewa Moreno das wissen?
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, fragte er.
»Fünf nach fünf«, sagte Van Eck, ohne zu zögern. »Sie ist rausgegangen, um einzukaufen, und war noch nicht wieder zurück, als ich mich auf den Weg zu meinem Kurs gemacht habe.«
»Was für ein Kurs?«, fragte Moreno.
»Porzellanmalerei. Um sechs Uhr, er findet da hinten in Riitmeeterska statt, deshalb brauche ich ein paar Minuten, um hinzukommen. Ich bin so zehn vor losgegangen.«
»Porzellanmalerei?«, wiederholte Münster.
»Das ist interessanter, als man denkt«, erklärte Van Eck und richtete sich ein wenig auf. »Ich bin ja nur ein Anfänger, habe erst vier Mal mitgemacht, aber es geht ja auch nicht darum, ein Meisterwerk hervorzubringen ... obwohl, vielleicht, eines Tages ...«
Einen kurzen Moment lang bekam der Hausmeister einen leicht glänzenden Blick. Münster räusperte sich.
»Um wie viel Uhr sind Sie zurückgekommen?«
»Um fünf nach acht, wie immer. Else war nicht zu Hause,
und sie war auch zu den Gangsterbräuten noch nicht wieder da ... die fangen um halb zehn an, und da wurde ich ernsthaft unruhig.«
Moreno machte sich Notizen. Münster fiel sein Traum aus der vergangenen Nacht wieder ein, und er kniff sich diskret in den Arm, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich in dieser gelb- und rosabemalten Küche saß.
Er wachte nicht auf und ging folglich davon aus, dass er vorher auch nicht geschlafen hatte.
»Was denken Sie, wohin sie gegangen sein kann?«, fragte Moreno.
Es zuckte ein paar Mal in Van Ecks Wangenmuskeln, und wieder sah es aus, als wäre er kurz vorm Weinen.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und putzte sich die Nase. »Es ist einfach unbegreiflich, sie würde nie einfach so weggehen, ohne zu sagen, wohin ... Sie weiß, dass ich nicht besonders stark bin.«
Er faltete umständlich sein Taschentuch zusammen und zwinkerte ein paar Mal hinter den starken Brillengläsern. Also doch Liebe? dachte Münster, es gibt da so viele Varianten.
»Vielleicht irgendeine Freundin?«, schlug er vor.
Van Eck antwortete nicht. Er stopfte das Taschentuch in die Tasche.
»Eine gute Freundin oder ein Verwandter, der plötzlich krank geworden ist?«, fantasierte Moreno weiter.
Van Eck
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