Muensters Fall - Roman
Nachbarn?«, fragte sie. »Soll ich noch bleiben und mich mal umhören, was die zu sagen haben? Es wäre doch ganz interessant zu erfahren, wann sie sie zuletzt gesehen haben.«
Münster nickte.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte er. »Soll ich Krause oder sonst wen herschicken?«
»In einer Stunde«, nickte Moreno. »Dann muss ich nicht zurück laufen.«
Sie guckte auf die Uhr. Offensichtlich brauchte er so seine Zeit. Van Ecks Bauch.
»Was meinst du?«, fragte sie. »Ich muss sagen, das Ganze ist mir zu hoch. Warum, zum Teufel, sollte die Alte denn abhauen?«
»Frag mich nicht«, sagte Münster. »Aber irgendwas hat es schon zu bedeuten, und ich habe das Gefühl, dass wir das hier verdammt ernst nehmen müssen ... auch wenn es sich wie eine Farce ausnimmt.«
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schaute aus dem Fenster. Das graue Wetter hielt an, schwere Wolken kamen vom Meer herangetrieben, und die Fensterscheibe war voller Tropfen und verschwommen, obwohl es eigentlich nicht regnete.
Tristesse, dachte Münster. Wer würde bei diesem Wetter nicht am liebsten abhauen?
Die Toilettenspülung war zu hören, und Van Eck trat herein.
»Fertig«, sagte er, als wäre er ein Dreijähriger im Topftrainingslager.
»Gut, dann können wir ja losfahren«, sagte Münster. »Inspektor Moreno bleibt noch hier und befragt einige Leute.«
Van Ecks Unterlippe zitterte leicht, und Moreno klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter.
»Es wird sich schon alles aufklären, Sie werden sehen«, sagte sie. »Es gibt bestimmt eine ganz natürliche Erklärung dafür.«
Vermutlich, dachte Münster. Es gibt ja so viel, was man heutzutage natürlich nennt.
18
Inspektorin Moreno verließ das Hotel Bender am Donnerstagnachmittag gegen vier Uhr. Der Portier mit dem Nasenring versuchte ihr die Bezahlung für eine weitere Nacht abzuluchsen, da sie das Zimmer ja noch nach zwölf Uhr belegt habe, aber sie weigerte sich. Zum ersten Mal seit langem (oder sogar zum ersten Mal überhaupt?) beschloss sie, ihre Dienststellung persönlich auszunutzen. Da es sich nur um hundertvierzig Gulden handelte, konnte ihr das wohl nachgesehen werden.
»Ich bin Inspektor bei der Kriminalpolizei«, erklärte sie. »Wir brauchten das Zimmer, um eine gewisse Transaktion hier im Hotel zu überwachen. Der Auftrag ist jetzt abgeschlossen. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Name in einem weniger schmeichelhaften Zusammenhang auftaucht, dann würde ich vorschlagen, Sie rechnen für eine Nacht ab und nicht für mehr.«
Der Jüngling dachte zwei Sekunden lang nach. »Ich verstehe«, erklärte er dann. »Dann sagen wir also eine Nacht.«
Als sie heimkam, saß kein Claus vor ihrer Tür, aber sie rief ihn an, nachdem sie ein halbes Glas Wein getrunken hatte.
Erklärte ihm ohne Umschweife und ohne besondere Erregung, dass sie einen Vorschlag zu machen habe. Ein Ultimatum, wenn er so wolle. Wenn es überhaupt möglich sein sollte, irgendwas zu reparieren von dem, was zwischen ihnen gewesen war – im gleichen Moment, in dem sie es aussprach, war ihr klar, dass sie hiermit falsche Hoffnungen bei ihm weckte —, so forderte sie zwei Wochen ohne jede Störung.
Kein Telefonanruf. Keine Grüße. Keine verdammten Rosen.
Zwei Wochen also. Vierzehn Tage von heute an. War er damit einverstanden?
Das sei er, erklärte er nach einem etwas zu langen Schweigen in der Leitung. Aber nur, wenn er wüsste, dass sie sich wirklich treffen und ordentlich aussprechen würden, wenn die Frist abgelaufen war.
Und wenn keiner von beiden sich in den zwei Wochen auf etwas anderes einließ.
Sich einließ?, dachte Moreno. Auf etwas anderes?
Sie ging auf das mit der Gesprächsbereitschaft ein, überging das andere mit Schweigen und legte auf.
Dann trank sie die zweite Hälfte ihres Weins. So, dachte sie. Jetzt habe ich seine Hinrichtung um zwei Wochen verschoben. Feige. Aber gut.
Sie kroch mit einem zweiten Glas und ihren Aufzeichnungen aus dem Kolderweg in eine Sofaecke. Stopfte sich die Kissen zurecht und schaltete die Leselampe ein, deren Lichtkegel so klein war, dass sie sich fast wie von einer Kleiderhülle umgeben fühlte, oder einem Einmannzelt. Ein kleiner, leuchtender Kegel in der Dunkelheit, in den eingeschlossen sie sitzen konnte, abgeschirmt von allem, von dem sie nichts wissen wollte. Von Männern, der Dunkelheit und allem anderen.
Endlich, dachte sie. Zeit, sich auf den Fall zu konzentrieren und nicht auf sich selbst oder die Umwelt.
Vor allem nicht auf sich
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