Muensters Fall - Roman
Bongersche Kahn – den er jetzt das siebte oder achte Mal anglotzte – lag nicht mit der Reling an der gemauerten Kante. Stattdessen wurde er an seinem Platz gehalten mit Hilfe von vier armdicken Trossen und ein paar Fendern in Form von rauen Holzstücken, umhüllt von Autoreifen, die zwischen der äußeren Bootswand und dem Kai einen halben Meter über der Wasserlinie befestigt waren. Die schmale Gangway, die er selbst vor einem Monat ausprobiert hatte, verlief mehr als eineinhalb Meter über offenem Wasser fast ganz bis zum Vordersteven heran. Ja, wenn er es recht bedachte, so war es tatsächlich sonderbar.
»Jaha?«, bestätigte Jung. »Und was kann das für eine Bedeutung haben?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Rooth. »Aber es ist schon ein merkwürdiges Arrangement. Wollen wir die Alte besuchen?«
Jung biss sich auf die Lippen.
»Wir hätten vielleicht etwas mitbringen sollen.«
»Etwas mitbringen? Was, zum Teufel, meinst du denn damit?«
»Sie ist etwas eigen, das habe ich dir doch schon erzählt. Es läuft bestimmt einfacher, wenn wir ihr irgendwas schenken könnten.«
Rooth schüttelte sich fröstelnd.
»Verfluchter Wind«, sagte er. »Okay, da hinten an der Ecke ist ein Laden. Lauf hin und hol eine Flasche Genever, ich warte hier solange.«
Zehn Minuten später saßen sie unten in der Kajüte von Frau Jümpers. Wie Jung vorausgesehen hatte, kam der Genever genau richtig, erst recht, da es der kälteste Tag in diesem Jahr war und die Schippersfrau auch noch Besuch von einer Freundin hatte.
Diese hieß Barga – Jung konnte nicht herausfinden, ob das der Vor-oder Nachname war – und war eine stämmige Frau unbestimmbaren Alters. Vermutlich irgendwo zwischen vierzig und siebzig. Trotz der relativen Wärme an Bord trugen beide Damen Gummistiefel, dicke Wollpullover und große Schals, die mehrfach um Hals und Kopf gewickelt waren. Ohne viel Aufhebens kamen vier Metallbecher auf den Tisch, die mit zwei Zentimeter Genever und drei Zentimeter Kaffee gefüllt wurden. Dazu Zuckerwürfel und dann Prost.
»Aha!«, rief Barga zufrieden aus. »Gott ist doch noch nicht tot, wie immer behauptet wird.«
»Aber er liegt in den letzten Zügen«, erwiderte Frau Jümpers.
»Hör auf meine Worte!«
»Hrrm«, räusperte sich Jung. »Apropos, Sie haben nicht zufällig Herrn Bonger in letzter Zeit gesehen? Deshalb schauen wir nämlich bei Ihnen rein.«
»Bonger?«, fragte Barga und lüftete ein wenig ihr Kopftuch.
»Nein, das ist ein verdammtes Rätsel. Man fragt sich wirklich, wozu wir die Polizei hier in der Stadt haben.«
»Die Herren sind von der Polizei«, betonte die Gastgeberin mit einem schiefen Lachen.
»Oh, Scheiße«, sagte Barga. »Nun, die Arbeit muss ja auch von jemandem gemacht werden, wie schon der Arschlecker sagte.«
»Genau«, sagte Rooth. »Kannten Sie Herrn Bonger auch?«
»Da kann der Herr Wachtmeister einen drauf lassen«, erklärte Barga. »Besser als sonst jemand möchte ich mal behaupten ...«, sie warf ihrer Freundin einen Blick zu, »... vielleicht ausgenommen diese Dame hier.«
»Wohnen Sie auch auf dem Kanal?«, fragte Jung.
»Überhaupt nicht«, erklärte Barga, »ganz im Gegenteil. Ganz oben unter den Dächern der Kleinstraat, da habe ich mein Zuhause. Aber ich lasse mich immer mal wieder hierher herab.«
»Du lässt dich herab, ach leck mich!«, schnaubte Frau Jümpers und drehte den Verschluss wieder von der Flasche. »Es ist doch noch ein Kleiner erlaubt?«
»Na gut, ein Kleiner«, sagte Jung.
»Ein Mittelgroßer«, sagte Rooth.
Frau Jümpers schenkte ein, und Barga lachte, dass die Plomben in ihrem Mund aufblitzten.
»Ein Mittelgroßer!«, zitierte sie begeistert. »Sag mal, Kleiner, bist du wirklich bei den Bullen?«
»Habe zu nichts anderem getaugt«, gab Rooth zu. »Aber, was also diesen Bonger betrifft ... wenn ihr ihn so gut gekannt habt, dann habt ihr ja vielleicht auch eine Ahnung, wohin er abgehauen sein könnte?«
Es vergingen einige Sekunden, bis der Gesichtsausdruck der Frau sich ernsthaft verdunkelte. Sie blinzelte zwischen geschwollenen Augenlidern Frau Jümpers zu, die mit größter Sorgfalt den Kaffee in den Schnaps schüttete. Dann räusperte sie sich.
»Entweder er ist ermordet worden«, sagte sie.
Sie hob ihren Becher. Es vergingen drei Sekunden.
»Oder?«, hakte Jung nach.
»Oder er ist abgehauen.«
»So ein Quatsch«, schnaufte Frau Jümpers.
»Warum sollte er abgehauen sein?«, fragte Rooth.
»Geschäfte«, sagte Barga
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