Muensters Fall - Roman
hatte.
Ihr Vater war in seinem eigenen Bett ermordet worden.
Ihre Mutter hatte gestanden, dass sie es getan hatte.
War das noch nicht genug?
War es wirklich notwendig, die Hinterbliebenen noch mehr zu quälen, und hatte die Polizei nichts Wichtigeres zu tun?
Moreno konnte nicht leugnen, dass sie ein gewisses Verständnis für Ruth Leverkuhns Einstellung hatte.
Und besonders geglückt war die ganze Veranstaltung auch nicht. Ruth Leverkuhn empfing sie in einem schlapprigen weinroten Sportoverall mit dem Text PUP FOR THE CUP in abbröckelndem Gold über der Brust. Um den Kopf hatte sie ein nasses Handtuch gewickelt, das auf Schultern und Brust Tropfspuren hinterließ, und die Füße schlurften in heruntergerutschten Wollsocken. Insgesamt kein besonders schöner Anblick.
»Migräne«, erklärte sie. »Ich habe gerade einen Anfall. Bitte lassen Sie es uns so kurz wie möglich machen.«
»Ich verstehe, dass das für Sie traumatisch sein muss«, begann Moreno. »Aber es gibt da einiges, über das wir gern mehr Klarheit haben würden.«
»Ach ja?«, sagte Ruth Leverkuhn nur. »Und was?«
Sie ging voraus in ein Wohnzimmer mit weichen, niedrigen Sofas, orientalischen Fächern und einer Unmenge bunter, flauschiger Kissen. Die Wohnung befand sich im siebten Stock, und das Panoramafenster bot einen großartigen Blick über die flache Landschaft mit dem kahlen, lichten Laubbaumbestand, herausragenden Kirchtürmen und rechtwinkligen Kanälen. Der Himmel war regenschwer, und vom Meer her hatte die
Dämmerung sich bereits wie ein rücksichtsvolles Leichentuch eingerollt. Moreno blieb einen Augenblick stehen und betrachtete die Szenerie, bevor sie zwischen all die Flauschigkeit sank.
»Sie wohnen schön«, sagte sie. »Es muss herrlich sein, hier zu sitzen und zuzusehen, wie die Dämmerung sich herabsenkt.«
Aber Ruth Leverkuhn war nicht besonders an der Schönheit dieses Tages interessiert. Sie murmelte irgendetwas und setzte sich Moreno gegenüber auf die andere Seite des niedrigen Rohrtisches.
»Was wollen Sie wissen?«, fragte sie nach einigen Sekunden des Schweigens.
Moreno holte tief Luft.
»Waren Sie nicht überrascht?«, fragte sie dann.
»Wie bitte?«, erwiderte Ruth Leverkuhn.
»Als Sie erfuhren, dass sie gestanden hat ... Hat es Sie schockiert oder haben Sie geahnt, dass Ihre Mutter schuldig war?«
Ruth Leverkuhn schob das feuchte Handtuch über der Stirn zurecht.
»Ich begreife nicht, wozu das gut sein soll«, sagte sie. »Tatsache ist doch, dass meine Mutter meinen Vater getötet hat. Ist das denn nicht genug? Warum wollen Sie noch weitere Details? Warum wollen Sie uns noch weiter in den Schmutz ziehen? Können Sie sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist?«
Ihre Stimme klang nicht sehr sicher. Moreno nahm an, dass das etwas mit den Migränemedikamenten zu tun haben könnte, und begann schon selbst zu überlegen, warum sie hier eigentlich saß. Ihren Beruf zur Eigentherapie zu missbrauchen erschien ihr nicht besonders ansprechend, wenn sie es näher bedachte.
»Sie waren also nicht überrascht, als Ihre Mutter gestanden hat?«, versuchte sie es trotzdem noch einmal.
Ruth Leverkuhn gab keine Antwort.
»Und dann gibt es da ja noch diese anderen Merkwürdigkeiten«,
fuhr Moreno fort. »Herrn Bonger und Frau Van Eck. Kannten Sie die beiden?«
Ruth Leverkuhn schüttelte den Kopf.
»Aber Sie haben sie mal gesehen?«
»Die Van Ecks habe ich bestimmt ein paar Mal gesehen ... sowohl sie als auch ihn. Was Bonger betrifft, weiß ich gar nicht, wer das ist.«
»Einer der Freunde Ihres Vaters«, sagte Moreno.
»Hatte er Freunde?«
Das war ihr herausgerutscht, ohne dass sie es wollte. Moreno sah deutlich, dass sie sich am liebsten auf die Lippe gebissen hätte.
»Was meinen Sie damit?«
Ruth Leverkuhn zuckte mit den Schultern.
»Ach, gar nichts.«
»War Ihr Vater ein einsamer Mensch?«
Keine Antwort.
»Sie kannten seine Gewohnheiten in den letzten Jahren nicht sehr gut. Seine Freunde oder so?«
»Nein.«
»Wissen Sie, ob sie mit den Van Ecks verkehrten? Ich meine, Ihre Mutter und Ihr Vater? Oder einer von den beiden ...«
»Keine Ahnung.«
»Wie oft haben Sie Ihre Eltern besucht?«
»Im Großen und Ganzen nie. Aber das wissen Sie doch schon. Wir hatten kein besonders gutes Verhältnis.«
»Sie mochten Ihren Vater nicht?«
Jetzt reichte es Ruth Leverkuhn.
»Ich ... ich mache das hier nicht mehr mit«, erklärte sie. »Sie haben kein Recht, hier einfach herzukommen und in meinem
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