Muensters Fall - Roman
nachdenklich.
»Würden Sie bitte fortfahren, Frau Leverkuhn.«
»Ja, dann bin ich in die Küche gegangen und habe da das Messer gesehen, das in der Spüle lag. Ich hatte es am Nachmittag benutzt, um ein bisschen Schinken aufzuschneiden.«
»Was haben Sie gedacht, als Sie das Messer sahen?«
»Nichts. Ich glaube, ich habe es nur genommen, um es abzuspülen und wieder in die Schublade zu legen.«
»Haben Sie das getan?«
»Entschuldigung?«
»Haben Sie das Messer abgespült?«
»Nein.«
»Berichten Sie, was Sie stattdessen gemacht haben.«
Marie-Louise strich eine vorwitzige Haarsträhne weg und schien in ihrer Schilderung zu zögern. Die Staatsanwältin betrachtete sie, ohne eine Miene zu verziehen.
»Ich bin mit dem Messer in der Hand stehen geblieben. Und genau in dem Moment hat mein Mann was gerufen.«
»Was?«
»Das will ich nicht sagen. Das war eine grobe Beleidigung.«
»Was haben Sie gemacht?«
»Ich fühlte, dass ich es einfach nicht mehr aushielt ... ich glaube nicht, dass ich genau gewusst habe, was ich tat. Ich bin
zu ihm gegangen und habe ihm dann das Messer in den Bauch gestoßen.«
»Hat er versucht, sich zu wehren?«
»Das hat er nicht mehr geschafft.«
»Und dann?«
»Dann habe ich einfach immer weiter zugestoßen. Das war ein Gefühl ...«
»Ja?«
»Das war ein Gefühl, als wenn ich es gar nicht selbst wäre, die das Messer in der Hand hielt. Als ob das jemand anders wäre. Es war merkwürdig.«
Die Staatsanwältin machte erneut eine Pause und ging einige Schritte hin und her. Als sie wieder auf ihrer vorherigen Position angekommen war, ungefähr einen Meter vor dem Tisch, hustete sie zunächst zweimal in ihre Hand und drehte dann den Kopf so, dass sie zu einem Punkt schräg oberhalb des Kopfes der Angeklagten sprach. Als würde sie sich eigentlich an jemand anders wenden.
»Ich habe etwas Probleme, Ihnen das zu glauben«, sagte sie. »Sie waren mehr als vierzig Jahre mit Ihrem Mann verheiratet. Sie haben ein langes Leben lang Heim und Bett und Mühen mit ihm geteilt, und dann verlieren Sie plötzlich die Beherrschung, ohne dass es eigentlich einen Grund dafür gibt. Sie sagen ja selbst, dass sie derartige ... Meinungsstreitigkeiten von früher her kannten?«
»Ich weiß nicht«, sagte Marie-Louise Leverkuhn. »Das war einfach irgendwie besonders schlimm ...«
»Kann es nicht sein, dass Sie es sich schon vorher überlegt haben?«
»Nein.«
»Sie haben nicht einmal daran gedacht?«
»Nein.«
»Beispielsweise früher an diesem Abend?«
»Nein.«
»Wollen Sie behaupten, dass Sie nicht wussten, was Sie taten an dem Abend, als Sie Ihren Mann ermordet haben?!«
»Einspruch!«, rief Rechtsanwalt Bachmann. »Es ist nicht erwiesen, dass die Angeklagte ihren Mann ermordet hat.«
»Einspruch angenommen«, murmelte der Richter, ohne seinen Mund zu bewegen. Die Staatsanwältin zuckte mit den Schultern, dass ihre schwere Brust wippte.
»Wussten Sie, was Sie taten, als Sie das Messer in Ihren Mann stießen?«, korrigierte sie ihre Frage.
»Ja, natürlich.«
Ein leises Gemurmel ging durch die Zuhörerreihen, und Richter Hart gebot Schweigen, indem er seinen Blick einen halben Fingerbreit anhob.
»Welche Absicht hatten Sie mit dem Zustechen?«
»Natürlich ihn zu töten. Ihn zum Schweigen zu bringen.«
Die Staatsanwältin nickte erneut mehrere Male und sah zufrieden aus.
»Was taten Sie anschließend?«
»Ich spülte das Messer unter dem Wasserhahn in der Küche ab. Dann wickelte ich es in eine Zeitung und ging hinaus.«
»Warum?«
Marie-Louise Leverkuhn zögerte.
»Ich weiß nicht. Es sollte wohl so aussehen, als wenn es jemand anders getan hätte.«
»Wohin gingen Sie?«
»Zum Entwick Plejn. Ich habe Messer und Zeitung in eine Mülltonne geworfen.«
»Wo?«
»Daran erinnere ich mich nicht. Vielleicht in der Entwickstraat, aber ich weiß es nicht mehr. Ich war etwas durcheinander.«
»Und dann?«
»Dann bin ich nach Hause gegangen und habe die Polizei angerufen. Ich tat so, als hätte ich meinen Mann tot aufgefunden, aber so war es ja nicht gewesen ...«
»Wurden Sie nicht ganz blutig, als Sie Ihren Mann töteten?«
»Nur ein bisschen. Ich habe mich gewaschen, als ich auch das Messer abgespült habe.«
Die Staatsanwältin schien eine Weile nachzudenken. Dann drehte sie der Angeklagten langsam den Rücken zu. Sie schob ihre Brille wieder hoch und ließ ihren Blick über die Reihe der Geschworenen wandern.
»Danke, Frau Leverkuhn«, sagte sie mit einer
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