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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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man brachte alles so schmerzlos wie möglich hinter sich, darin schienen alle einer Meinung zu sein. Trotzdem nahmen sie fast zwei Stunden in Anspruch, die Zeugen der Anklage.
    Bedeutend weniger (vermutlich gut eine Viertelstunde; sie kontrollierte nie die Zeit) brauchte Emmeline von Post, die so genannte Charakterzeugin der Verteidigung. Was für eine peinliche Veranstaltung. Wobei: Es war natürlich auch nichts anderes zu erwarten gewesen. Bachmann hatte ihr nicht erzählt, dass er ihre Freundin vorladen wollte, hätte er das, hätte sie alles daran gesetzt, ihn daran zu hindern. Zweifellos.
    Nachdem Emmeline von Post ihren Platz eingenommen hatte, gesagt hatte, wer sie war und den Eid geschworen hatte, dauerte es nur noch eine halbe Minute, bis sie in Tränen ausbrach. Der Richter machte eine Pause, in der ein weiblicher Gerichtsdiener herbeigeeilt kam mit einer Wasserkaraffe, Papiertaschentüchern und einer Dosis allgemeiner Mitmenschlichkeit.
    Danach konnte Bachmann einige Minuten fortfahren, bis alles wieder von vorne anfing. Eine neue Pause mit Schluchzen und Taschentüchern setzte ein, und als die arme Frau sich endlich so einigermaßen gesammelt zu haben schien, fasste der Anwalt sich ein Herz und schoss seine entscheidende Kernfrage ohne große Vorreden ab:
    »Sie haben die Angeklagte fast Ihr ganzes Leben lang gekannt, Frau von Post. Halten Sie es für möglich – vor dem Hintergrund
Ihrer guten Kenntnis ihres Charakters –, dass sie ihren Mann hat mit Bedacht ermorden können, so wie die Anklage es als glaubwürdig erscheinen lassen will?«
    Emmeline von Post (die natürlich überhaupt keine Ahnung davon hatte, was die Anklage als glaubwürdig zu erscheinen versucht oder nicht versucht hatte, da sie ja nicht das Recht gehabt hatte, vor ihrer eigenen Zeugenaussage an der Verhandlung teilzunehmen) schluchzte noch ein paar Mal. Dann antwortete sie mit verhältnismäßig fester Stimme:
    »Sie könnte niemals einer Fliege etwas zu Leide tun, das schwöre ich.«
    Danach hatte Bachmann keine Fragen mehr.
    Die hatte die Staatsanwältin Grootner auch nicht.
    Nicht einmal Richter Hart.
     
    Am Freitag wurden die Schlussplädoyers gehalten, eine Vorstellung, die den Eingangsreferaten vom Dienstag bis zur Verwechslung ähnelte. Als das vorbei war, erklärte Hart die Verhandlung für abgeschlossen. Das Urteil sollte am darauf folgenden Dienstag verkündet werden, bis dahin sollte Marie-Louise Leverkuhn in gleicher Art und Weise unter Arrest stehen, wie sie es bereits seit neununddreißig Tagen getan hatte – in der Zelle Nummer 12 im Frauentrakt des Maardamer Untersuchungsgefängnisses.
    Als sie im Auto auf dem Weg in ihre Zelle saß, fühlte sie in erster Linie eine große Erleichterung. Soweit sie verstanden hatte, war im Verlauf dieser Tage nichts schief gelaufen (wenn man die Sache mit Emmeline von Post außer Betracht ließ, aber das hatte ja nichts mit der Hauptfrage an sich zu tun), und jetzt ging es nur noch darum, einige Tage zu warten.
    Keine weiteren Beschlüsse mehr. Keine Fragen. Keine Lügen.
     
    Das ganze Wochenende über regnete es. Irgendwo unterhalb ihrer Fensterluke gab es ein Wellblechdach, auf dem der wechselhafte Takt des Regens so deutlich zu hören war, als handele
es sich um Töne auf einem Instrument. Das gefiel ihr – ausgestreckt auf dem Bett zu liegen, die grüne Wolldecke bis zum Kinn hochgezogen und das Fenster zehn Zentimeter weit offen... ja, das Geräusch hatte etwas äußerst Beruhigendes an sich, das sie endlich zur Ruhe kommen ließ.
    Sie kam nach einer langen, langen Reise nach Hause.
    Es war merkwürdig.
    Der Pfarrer besuchte sie wie zuvor. Sowohl am Samstag als auch am Sonntag. Er saß in seiner Ecke und döste vor sich hin, als wache er an einem Totenlager. Auch das gefiel ihr.
    Bachmann hatte damit gedroht, bei ihr aufzutauchen, um die Lage mit ihr durchzusprechen, aber sie begriff, dass das nur eine professionell bedingte Lüge gewesen war. Er hatte am letzten Verhandlungstag reichlich resigniert ausgesehen, und sie hatte ihn kaum dazu ermuntert, sie zu besuchen. Folglich kam er auch nicht.
    Ruth rief am Freitagabend an und Mauritz ganz früh am Samstag, aber es dauerte bis Sonntagnachmittag, bis Ruths schwere Körpermasse auf dem Besucherstuhl niedersank.
    »Mama«, sagte sie nach dem einleitenden Schweigen.
    »Ja, was willst du?«, erwiderte Marie-Louise Leverkuhn.
    Darauf konnte die Tochter keine Antwort geben, und sehr viel mehr wurde nicht gesagt. Nach zwanzig

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