Muensters Fall - Roman
ist?«, fragte er.
Münster betrachtete den Niederschlag draußen fünf Sekunden lang, bevor er antwortete.
»Schon möglich«, sagte er.
»Warum sollte sie gestehen, wenn sie es nicht getan hat?«
»Da gibt es so einige Varianten.«
»Und welche?«
Münster dachte nach.
»Na ja, genau genommen eine.«
»Eine Variante?«, sagte Reinhart, »das nenne ich Vielfalt.«
»Ist ja auch egal«, sagte Münster. »Vielleicht ist es dann eben Einfalt, aber könnte ja sein, dass sie jemanden geschützt hat ... oder dass sie gedacht hat, sie würde es tun. Aber das sind natürlich nur Spekulationen.«
»Und wen sollte sie schützen wollen?«
Das Telefon klingelte, Reinhart drückte jedoch nur auf einen Knopf und schaltete es damit ab.
»Das versteht sich ja von ganz allein«, sagte Münster etwas
verärgert. »Ich habe mir das wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen, aber wir haben nichts, was dafür spricht. Überhaupt nichts.«
Reinhart nickte und biss auf den Pfeifenstiel.
»Und dann haben wir da Frau Van Eck«, fuhr Münster fort. »Und noch diesen verfluchten Bonger. Das macht das Bild etwas kompliziert, findest du nicht?«
»Sicher«, bestätigte Reinhart. »Ganz bestimmt. Ich habe heute versucht, mit dem armen Ehemann in Majorna zu reden. Da ist offensichtlich nicht mehr viel Feuer vorhanden ... nun ja, was willst du jetzt machen? Ich meine, ganz konkret.«
Münster lehnte sich zurück und wippte auf seinem Stuhl.
»Dem einfältigen Gedankengang folgen«, sagte er, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Um zumindest zu sehen, wie weit er reicht. Ich muss noch mal ein bisschen herumfahren, nur eins von den Geschwistern ist zur Beerdigung gekommen, da konnten wir also nicht viel ausrichten ... außerdem nützt es nicht besonders viel, sich auf die Trauernden zu stürzen, sobald sie aus der Kirche kommen.«
»Stimmt«, sagte Reinhart. »Wann fährst du?«
»Morgen«, sagte Münster. »Die wohnen ziemlich weit im Norden, das wird vielleicht eine Sache von zwei Tagen.«
Reinhart dachte eine Weile nach. Dann nahm er seine Füße aus dem Bücherregal und legte seine Pfeife hin.
»Das ist doch wirklich eine verdammt merkwürdige Geschichte, nicht wahr?«, sagte er. »Und ziemlich unwitzig.«
»Stimmt«, sagte Münster. »Aber vielleicht ist alles auch nur ein Zufall. Schließlich sind schon mehr als zwei Monate vergangen, und erst jetzt kann ich auch nur die Spur eines Motivs wittern.«
»Hm«, überlegte Reinhart. »Else Van Eck eingeschlossen?«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Münster. »Das ist bis jetzt noch eine verdammt flüchtige Witterung.«
Plötzlich begann Reinhart laut zu lachen.
»Hol’s der Teufel«, sagte er. »Jetzt klingst du schon wie der Hauptkommissar. Wirst du langsam alt?«
»Uralt«, bestätigte Münster. »Meine Kinder werden bald glauben, dass ich ihr Großvater bin, wenn ich nicht schnell eine Woche frei kriege.«
»Frei, ja«, seufzte Reinhart und bekam einen ganz verträumten Blick. »Nein, was soll’s, jetzt gehen wir nach Hause. Dann sehen wir uns also in ein paar Tagen. Halte uns auf dem Laufenden.«
»Ja, natürlich«, sagte Münster und öffnete die Tür des Zimmers von Kommissar Reinhart.
34
Er nahm sich an diesem Morgen eine Stunde extra Zeit. Machte die Betten, wusch ab, fuhr Marieke in den Kindergarten und verließ Maardam gegen zehn Uhr. Ein diagonal fallender, peitschender Regen fegte vom Meer her über die Stadt, und er war dankbar, dass er zumindest in einem Auto mit einem Dach über dem Kopf saß.
Ansonsten bestand seine Reisebegleitung in erster Linie aus einer schweren Müdigkeit, und erst nachdem er zwei Tassen schwarzen Kaffee an einer Tankstelle an der Autobahn getrunken hatte, fühlte er sich einigermaßen wach und klar im Kopf. Van Veeteren pflegte immer zu sagen, nichts sei besser als eine längere Autofahrt – in einsamer Erhabenheit –, wenn es darum ginge, verworrene Gedankenknäuel zu entwirren, und als Münster startete, hegte er die vage Hoffnung, dass es auch in seinem Fall klappen könnte.
Denn es gab da einiges, was er in Angriff nehmen musste. So einige Knäuel, keine Frage.
Zuerst einmal Synn. Seine schöne Synn. Er hatte gehofft, dass sie am vergangenen Abend, nachdem die Kinder im Bett waren, ein ordentliches Gespräch würden führen können, aber dazu war es nicht gekommen. Es war zu gar nichts gekommen. Synn hatte sich auf ihre Seite gelegt und das Licht schon gelöscht, bevor er überhaupt im Bett war, und
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