Muensters Fall - Roman
über den Stand der Ermittlungen zu erkundigen. Was er eigentlich genau auf dem Herzen hatte, daraus wurde Münster nicht ganz schlau. Er hatte gebrummelt und in Rätseln gesprochen, fast wie früher, wenn sich etwas zusammenbraute. Münster war ihm entgegengekommen und hatte ihm von seinen Plänen erzählt, und Van Veeteren hatte ihn gebeten, vorsichtig zu sein. Hatte ihn geradezu gewarnt, aber weitere Einzelheiten oder gute Ratschläge waren nicht aus ihm herauszuholen gewesen.
Sonderbar! Ob er auf dem Weg zurück war? War er das Antiquariatsleben leid?
Unmöglich zu erraten, stellte Münster fest. Wie so oft, wenn es um Van Veeteren ging.
Und im Kolderweg war das Paar Menakdise-de Booning dabei, auszuziehen. Die Bumsmaschinen! Oder la Rouge et le Noir, wie Moreno sie etwas romantischer getauft hatte. Warum?
Warum gerade jetzt? Manchmal schien es fast, als würde sich das ganze Haus nach und nach leeren. Die Leverkuhns waren weg. Das Hausmeisterehepaar ebenso – zumindest solange Arnold Van Eck noch in Majorna war. Und jetzt die beiden jungen Leute. Nur Frau Mathisen und der alte Engel waren noch da.
Zum Teufel, dachte Münster. Was geht da vor?
Um ein Uhr hatte er immer noch eine Stunde Fahrzeit vor sich, und er beschloss, zu Mittag zu essen. Bog gleich nördlich
von Saaren von der Autobahn ab und begab sich in einen dieser postmodernen Rastbunker für den postmodernen Autofahrer. Während er an seinem Fenstertisch saß – mit Blick auf den Regen, den Parkplatz und vier entwicklungsgestörte Lärchenbäume – beschloss er, ein wenig Systematik in seine Gedankengänge zu bringen. Er schlug eine neue Seite in seinem Notizblock auf und schrieb alles nieder, worüber er in der letzten Stunde im Auto nachgedacht hatte. In Tabellenform. Während er anschließend dasaß und sein zähes Schnitzel kaute, hatte er die Liste vor sich liegen. Er wollte sehen, ob es möglich war, aus ihr irgendwelche neuen, kühnen Schlüsse zu ziehen. Oder zumindest alte, vorsichtige, es gab noch fünf Zentimeter Platz auf der Seite, dort wollte er seine Schlussfolgerungen notieren.
Als er fertig gegessen hatte, waren diese Zentimeter immer noch weiß, aber einer Sache war er, wenn auch aus irgendeinem abstrusen Grund, doch sicher. Einer einzigen:
Er war auf dem richtigen Weg.
Ziemlich sicher. Die blinde Schildkröte näherte sich dem Schneeball.
Es herrschte fast Sturm in Frigge. Als Münster auf dem runden, offenen Platz vor dem Hauptbahnhof aus seinem Wagen stieg, war er gezwungen, sich gegen den Wind zu stemmen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Im Bahnhof bekam er von einer ungewöhnlich entgegenkommenden jungen Frau am Fahrkartenschalter einen Stadtplan und eine Wegbeschreibung. Er bedankte sich für ihre Mühe, und sie erklärte ihm mit einem warmen Lächeln, dass ihr Mann auch bei der Polizei arbeite und dass sie wusste, wie es dort war.
Da sieht man es mal wieder, dachte Münster. Die Welt ist voll von verständnisvollen Polizistenehefrauen.
Danach ging er zurück in den Sturm, diesmal ziemlich nach hinten gekrümmt. Er setzte sich wieder ins Auto und schaute sich die Informationen an, die er bekommen hatte. Nach allem zu urteilen, wohnte Mauritz Leverkuhn in einem Vorort. Einzelhäuser und Reihenhäuser und nur vereinzelte Wohnblocks wahrscheinlich. So sah es jedenfalls aus. Er schaute auf seine
Uhr. Es war noch nicht einmal halb vier, aber wenn Mauritz Leverkuhn, wie er selbst angegeben hatte, immer noch Grippe hatte, gab es keinen Grund, davon auszugehen, dass er nicht zu Hause war.
Vorher anzurufen, um einen Termin zu verabreden, war nicht geplant. Ganz und gar nicht, dachte Münster. Wenn man den Stier bei den Hörnern packen will, ist es kaum ratsam, ihn vorher um Erlaubnis zu bitten.
Das Viertel hieß Gochtshuuis. Es lag im äußersten Westen der Stadt. Er startete sein Auto und fuhr vom Marktplatz herunter.
Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis er es gefunden hatte. Ein ziemlich trübseliges Siebzigerjahreprojekt mit niedrigen Reihenhäusern an einem Kanal und einem schütteren Waldstreifen, der zur sumpfigen flachen Ebene und zum Meer hin bepflanzt worden war. Vermutlich als Windschutz. Die Bäume bogen sich alle gemeinsam nach Osten hin. Mauritz Leverkuhns Haus lag ganz außen, wo die Straße mit einem Briefkasten, einem Schrottplatz und einer Wendeschleife für die Busse endete.
Betongrau. Zwei Stockwerke hoch, zehn Meter breit und mit einem pathetischen, klitschnassen Rasenfleck auf der
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