Mürrische Monster
Berge.«
»Und was glaubst du, wo sie stecken?«, fragte Nate.
Sandy, die wütend und beleidigt war, fragte sich, ob sie ihnen überhaupt noch helfen sollte. Schließlich holte sie tief Luft. »Für Kail versucht es an der Seattle-Tacoma-Verwerfungslinie. Sie wurde im siebzehnten Jahrhundert bei dem großen Cascadia-Erdbeben destabilisiert, und eine verzweigte Spalte verläuft noch heute mitten durchs Stadtzentrum, direkt unter der Space Needle. Ein heimtückischer Spalterdämon dürfte sich dort wie zu Hause fühlen.«
»Danke«, sagte Nate rasch. »Richie, Lilli, wir brechen auf.«
Gleich darauf waren die drei verschwunden. Sandy sank mit dem Dämonenhüter-Kompendium auf dem Schoß in einen weichen Ohrensessel; sie war zutiefst betrübt. Die Rückenlehne des Sessels beugte sich knirschend vor, um ihre Schultern zu massieren.
»Danke«, sagte Sandy. Dann tat sie, was sie immer tat, wenn es ihr schlecht ging: Sie atmete tief durch, nahm das Buch Trost suchend in den Arm wie ein geliebtes Stofftier und begann zu lesen.
16. Kapitel
Kail
Zu Hause in der von Rissen durchzogenen Erde unter Seattle, war Kail stark geworden. Er kam unter der Oberfläche mühelos voran, dort, wo vor mehr als hundert Jahren das Sumpfland mit lockerer Erde und Abraum aufgeschüttet worden war, um neuen Boden für Seattles Hafenviertel zu gewinnen.
Nun aber konnte ihn seine Körperkraft nicht mehr schützen, und er fühlte sich in seinem neuen Lebensraum nicht mehr sicher. Kail fürchtete sich nur vor wenigen Dingen, aber das Wesen, das sich hinter ihm fieberhaft durch die Erde wühlte, machte dem Spalterdämon gewaltige Angst.
Zahllose Abwasserrohre durchzogen Kails unterirdisches Reich, und in seiner Hast bohrte er sich unversehens in das altersschwache Material eines Hauptrohres und sprengte es.
Oben waren gerade Dutzende von Kindern in Fußballtrikots dabei, in Dick’s Drive-in-Restaurant Hamburger zu bestellen. Da schoss auf einmal eine Fontäne aus dem Boden und katapultierte zwei Mittelfeldspieler und den Torwart Hals über Kopf in die Milchshake-Maschine. Dort blieben sie als benommener, mit Schoko-Eis und Klärschlamm besudelter Haufen liegen, während der Rest der Mannschaft einschließlich der Trainer schreiend hinausrannte.
Kail wurde vom Wasser mit an die Oberfläche gerissen, hatte aber keine Zeit, das heillose Durcheinander zu genießen. Das Wesen, das ihn verfolgte, war kein rehäugiger junger Hüter, sondern ein uraltes Geschöpf mit einem Mordshunger, und Kail riet sein Instinkt, in Bewegung zu bleiben und dem geheimnisvollen Verfolger um jeden Preis aus dem Weg zu gehen. Hüter, die das Chaos einfingen und es einsperrten, waren schon schlimm genug. Aber es gab Dinge, die waren noch viel, viel schlimmer.
Er überquerte die Straße, pflügte einen breiten Spalt in den Bürgersteig, der einen vorbeikommenden Radfahrer kopfüber in die nächste Mülltonne katapultierte. Er konnte seinen Verfolger jetzt ganz deutlich spüren. Kail wand sich durch den Asphalt wie eine Schlange durchs Gras und raste auf die Space Needle, Seattles hoch aufragenden Aussichtsturm, zu.
Nate, Richie und Lilli standen auf der Aussichtsplattform und blickten auf die Stadt und den Puget-Sund hinab. Nik, der unter Höhenangst litt, kauerte am Boden, während Pernikus anmutig auf dem Geländer herumbalancierte und zum hundertfünfundachtzig Meter unter ihnen liegenden Bürgersteig hinablächelte.
»Netter Ausblick, aber wonach suchen wir eigentlich?«, fragte Lilli.
Nate inspizierte die Straßen und Häuser. »Nach Rissen in Hauswänden und im Boden. Wenn Kail unter der Erde steckt, ist er in Sicherheit und praktisch unerreichbar. Wir müssen nach Hinweisen Ausschau halten, dass er an die Oberfläche gekommen ist.«
»Wie sollen wir denn von hier oben einen Bodenriss erkennen?«, maulte Richie. Er spuckte aus und sah zu, wie die Spucke in der Tiefe verschwand.
»He, was ist denn da drüben los?«, fragte Nate.
»Bloß eine Horde Kinder, die aus einem Restaurant stürmen«, sagte Richie. »Sieht aus wie eine Fußballmannschaft. Wahrscheinlich versucht jeder von ihnen, den Beifahrersitz im Minibus zu ergattern.«
Lilli tippte an Nates Arm. »Gibt es denn gar keine Möglichkeit, diesen ausgeflippten Spalterdämon zu besänftigen? Mit ihm zu reden?«
»Er ist dafür da, Dinge zu zerstören«, erwiderte Nate. »Man kann nicht mit ihm reden, und ich darf nicht zulassen, dass er mitten in Seattle sein volles Potenzial entfesselt.«
»Genau«,
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