Mürrische Monster
auf sie zukamen, die ihre Haltetaue wie Rattenschwänze im Wasser hinter sich herzogen. Offensichtlich hatten sie sich von ihren Liegeplätzen losgerissen und trieben nun führerlos über den See.
»Ist das seltsam genug?«, flüsterte Sandy.
Sie ruderte fieberhaft los, da die Hausboote auf sie zuhielten, und Nate paddelte zusätzlich mit den Armen und spritzte Sandy ganz nass. Während die Boote haarscharf an ihnen vorbeizogen, sah er hinter einem der Fenster einen schlafenden Mann auf einer Couch liegen.
»Seht mal!«, sagte er und deutete auf das Kielwasser der Hausboote. Dicht unter der Oberfläche schwamm eine zwei Meter lange Hand und schob die Gefährte sanft, aber stetig voran.
»Wir sind wie Plastikenten in der Badewanne«, sagte Sandy und blickte sich um, konnte aber durch ihre bespritzte Brille nichts erkennen.
Nate zog Dhaliwahls Schlangenstab aus der Tasche.
Der Stab war ein Dämon und gleichzeitig ein Werkzeug und hatte Dhaliwahl einst als Gehilfe gedient. Er verlängerte sich für Nate, entrollte und streckte sich auf ein Mehrfaches seiner ursprünglichen Länge. Als die Hand am Beiboot vorbeischwamm, warf Nate den Stab wie ein Lasso über den riesigen Mittelfinger.
Das kleine Gefährt schoss ruckartig vorwärts und begann, vom Troll gezogen, wie auf Wasserskiern über den See zu hüpfen. Nate stemmte die Füße gegen den Boden, während sich der Stab fest um sein Handgelenk wickelte. Selbst dieses kleine Boot hatte im Wasser des Lake Union einen großen Strömungswiderstand, und Nate dachte schon, der Troll würde ihm jeden Augenblick den Arm auskugeln, aber bald richtete sich das Gefährt aus und glitt geradewegs der untergetauchten Hand hinterher. Die drei hielten sich so gut es ging fest und hofften, dass das kleine Boot nicht umkippen würde, während Nate versuchte, sich dichter an die gewaltige Statue heranzuhangeln.
«Wenn ich die Box an der richtigen Stelle gegen den Troll drücken kann, gelingt es mir vielleicht, ihn aufzusaugen«, sagte er zu den beiden Mädchen.
»Was soll das heißen, vielleicht ?«, fragte Sandy.
«Hilf einfach dabei, dass wir näher herankommen.«
»Ich sehe nichts!«, beschwerte sich Sandy, die ihre Brille nicht putzen konnte, weil sie dafür die Ruder hätte loslassen müssen. Sie versuchte mitzurudern, während sie gezogen wurden, aber in erster Linie spritzte sie Nate nass und schlug ihm einmal sogar ein Ruder an den Kopf.
»Aua!«
Als sie die andere Seite des Lake Union erreichten, verpasste der Troll den beiden Hausbooten einen letzten kräftigen Stoß, so dass sie mit Höchstgeschwindigkeit auf das Ufer zupflügten.
»O nein!«, rief Nate. Das erste Hausboot prallte gegen eine große Jacht.
RUMMS!
Kreischende Hochzeitsgäste, die höflich an Deck gestanden hatten, während der Pastor die Zeremonie vollzog, flogen durch die Luft wie Plastik-Tortenfiguren, die man achtlos durch die Küche wirft. Gäste in Anzügen und feinen Kleidern landeten inmitten der Appetithappen und purzelten über die Reling – es war ein tiefer Sturz, begleitet von langgezogenen Schreien. Das rauschende Kleid der Braut blähte sich wie ein Fallschirm auf, als sie mit ihrer akkurat aufgesteckten Frisur in den Lake Union plumpste, während der Bräutigam sich fieberhaft an der Reling festklammerte.
Das zweite Hausboot krachte am Ufer schwungvoll in einen Nachtclub und ließ die Discokugel über die Tanzfläche kullern wie eine glitzernde Bowlingkugel. Funkelnd rollte sie zwischen den Beinen der flüchtenden Gäste hin und her.
Die schlafenden Hausbootbesitzer wachten auf. Eine Frau taumelte schlaftrunken aus ihrer verkanteten Kajütentür. In ihrem langen weißen Nachthemd und mit Lockenwicklern sah sie aus wie eine ärmliche Ausgabe der verloren gegangenen Braut.
Der Mann aus dem anderen Hausboot flog durchs Fenster und landete wie ein Breakdancer rücklings auf der Tanzfläche des Nachtclubs, während ein Hip-Hop-Song aus den eingedrückten Lautsprechern plärrte.
Nachdem die Hausboote verschwunden waren, bemerkte der Troll das um seinen Mittelfinger geschlungene Seil. Er wandte sich um, pflügte durchs Wasser auf das Ruderboot zu und zog dessen Insassen zu sich heran.
«Da kommt er!«, sagte Nate und hob die Knobelbox.
»Pass auf!«, rief Sandy.
Noch ehe Nate die Box an den Troll pressen konnte, tauchte der Dämon unter und verschwand aus seiner Reichweite. Nate beugte sich über die Bootskante und blickte suchend über die schwappenden Wellen des Sees. Plötzlich
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