Mürrische Monster
spüren.« Er ging auf die Straße und stellte sich mit ausgebreiteten Armen in den tosenden Wind; er konzentrierte sich, ließ sich von den Böen umfangen, erspürte sie, so wie Lilli das Karma unter der Brücke erspürt hatte. Der Wind kam aus verschiedenen Richtungen, blies offenbar willkürlich mal von hier, mal von dort und fühlte sich seltsam unentschlossen an. Plötzlich kribbelten Nates Nackenhärchen.
»Ich gehe«, verkündete er.
»Wohin?«, fragten die anderen gleichzeitig.
»Ins Auge des Sturms.«
»Wie bitte?«, sagte Sandy.
»Warum?«, fragte Richie.
»Weil Flappy dort ist.«
Nate war im Begriff, das große Boot startklar zu machen, als Sandy und Richie angerannt kamen und an Bord sprangen.
»Nate!«, rief Sandy. »Jetzt warte doch mal und denk nach. Ist das ein logischer Entschluss oder eine impulsive Handlung?«
»Du hast doch von den vier Elementen gesprochen, stimmt’s?«, entgegnete Nate. »Feuer, Erde, Luft und Wasser.«
»Ja«, sagte sie.
»Der Dämonenfresser hat Kail gejagt, die Erde, dann Zunder, das Feuer. Dieser Sturm hier ist Luft. Und es ist Flappy. Ich kann ihn spüren.«
»Aber du lässt das Haus unbewacht zurück.«
»Der Dämonenfresser hat sich nebenbei ein paar kleinere Manifestationen einverleibt – Bier- und Spielplatzdämonen, Lillis Graffiti, die lebendig gewordene Troll-Statue –, aber seine richtigen Mahlzeiten sind die Elementardämonen der ersten Ebene. Als Zunder und Kail sich gezeigt haben, hat er sie sofort gejagt, und Flappy ist inzwischen so groß geworden, dass ich seine Gegenwart im Sturm spüre. Der Dämonenfresser spürt ihn auch.«
Nate löste ein Tau von der Seitenklampe. Sandy sah noch nicht überzeugt aus. »Weißt du, Flappy war mein erster Gehilfe. Er hat mir immer zur Seite gestanden. Diese Loyalität muss ich ihm nun auch erweisen. Außerdem«, fügte er hinzu, »hoffe ich, dass das Haus nicht unbewacht bleibt.« Er warf Sandy einen flehenden Blick zu.
Sie seufzte. Sich mit einem Dämonenhüter einzulassen war ihre eigene Entscheidung gewesen. Die Beziehung war manchmal ziemlich chaotisch und sogar gefährlich. Verglichen mit ihrem einfachen geordneten Leben als junge Bibliotheksassistentin war es aber immerhin richtig spannend. Doch Nate sah, dass es Sandy nicht behagte, zurückgelassen zu werden.
»Ich tue es noch dieses eine Mal, Nate«, sagte sie. »Aber wenn du das nächste Mal zu einem Abenteuer aufbrichst und mich nicht mitnimmst, werde ich bei deiner Rückkehr nicht mehr da sein.«
Selbst in seiner Eile hielt Nate inne. Sandy plapperte nie gedankenlos daher oder bluffte – sie war ein offener und direkter Mensch und tat immer genau das, was sie sagte. Er sah, dass sie es ernst meinte. Er überlegte einen Moment, dann nickte er. »Verstehe«, sagte er, trat zu ihr heran und gab ihr einen Kuss. Diesmal verfehlte er ihren Mund nicht ... oder ihre Zunge. Auch fanden seine Hände die Rundungen ihrer Hüften. Und trotz seiner Eile ließ er sich Zeit. Sandy lächelte, als er sie schließlich losließ, und stieg zurück an Land.
»Richie«, rief Nate. »Du bist mein Lehrling. Hilf mir, das Boot startklar zu machen und es durch die Schleusen in den Puget-Sund hinauszufahren!«
Richies Miene erstrahlte. »Aye-aye, Sir!«, sagte er, flitzte über das Boot und zog die Abdeckplanen von allerlei seltsamen Gerätschaften. Netze, Käfige und hölzerne Rüstungsteile kamen zum Vorschein. Zum ersten Mal sah er den Namen des Kutters – WANDERER. Als er eine Plane von einem großen Gebilde auf dem Vorderdeck herabzog, schossen seine Brauen in die Höhe. Ein schlanker Stahllauf war an einem aufs Deck genieteten Drehständer befestigt. Ein zusammengerolltes Seil führte an der Seite in das Gerät hinein, und aus der Spitze des Laufs ragte ein eiserner Widerhaken. Es war eine Harpunenkanone.
»Cool«, sagte Richie. Er löste das letzte Tau und erstattete Meldung. »Käpt’n, alles erledigt. Wir sind startklar«, rief er, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er als Hilfsmatrose keinen einzigen echten Seefahrer-Ausdruck kannte; trotzdem war er hocherfreut, überhaupt an Bord zu sein.
Nate winkte Sandy zu.
»Wie kann ich helfen?«, rief sie und klang mehr denn je wie eine brave Bibliothekarin.
»Pass einfach auf das Haus auf«, antwortete er. »Und sag der Tür, sie soll auf keinen Fall Fremde hereinlassen.«
Dann trat Sandy vom Boot zurück, der Motor erwachte tuckernd zum Leben, und die Jungen schipperten los.
21. Kapitel
Noch eine
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