Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
mein soziales.
» HUNDERTZWANZIG Mark für eine Jeans?«
Meine Mutter schnaubte durch die Nasenlöcher, ich heulte. Nach einer Weile sagte sie:
»Ich kann dir aber ein Levi’s-Etikett auf deine Hose nähen, das fällt doch niemandem auf.«
Noch schlimmer als kein Markenlogo war ein von einer alten Levi’s abgetrenntes Logo auf einer Jeans, die weder rote Nähte noch den richtigen Schnitt besaß. Eine Todsünde. Aber was wusste schon meine Mutter – eine Person, die sich einen Eastpak-Rucksack kauft und dann als Erstes das Schildchen abtrennt.
»Wenn mal irgendjemand auf die Idee kommt, sich ein Loch in die Hose zu schneiden und den Arsch blau anzumalen, laufen am nächsten Tag garantiert alle so rum«, sagte meine Mutter gerne. »Das heißt noch lange nicht, dass es deshalb cool ist.«
Gott, wenn es so einfach gewesen wäre, hätte ich mir den Hintern in Regenbogenfarben bepinselt. Aber modisch sein hieß, einem sich quasi stündlich ändernden Mainstream hinterherzurennen, den komplexen Zeichenzoo von Marken zu durchschauen, die underground, hip, nicht mehr hip, wieder hip, wieder nicht mehr hip oder zeitlos waren. Was man am Tag der Schuldisco hervorragend betrachten konnte.
Die Jungs sahen entweder aus, als seien sie gerade auf dem Weg zur Loveparade oder ins Hip-Hop-Tonstudio. Die Mädchen trugen – na, was wohl – Levi’s-Jeans und dazu ein weißes Top mit Spaghettiträgern. Oder Miniröcke aus einem Material, das die Bezeichnung Stoff nicht verdiente und bei der kleinsten Berührung sämtliche Körperhaare elektrisch auflud. Mindestens drei der Röcke und einige weitere Kleider in der Disco waren mit weißen Margeriten auf babyblauem Grund bedruckt. Ich trug eine Jeans (No Name) und ein weißes T-Shirt (Hess Natur).
Da es keinen Alkohol gab, dauerte es ein wenig, bis die Party in Schwung kam. Also, eigentlich dauerte es nur eine halbe Stunde, aber die kam uns irre lang vor. Dann rannten alle gleichzeitig auf die Tanzfläche. Wie ein Boom boom boom boom Boomerang, komm ich immer wieder bei dir an. Ekstatisch hüpften unsere Körper zu Euro-Dance-Beats auf und ab, was im flackernden Schwarzlicht doppelt so schnell aussah. Faster! Harder! Scooter!
Apropos Schwarzlicht. Es gab natürlich einen Grund für die vielen weißen T-Shirts. Man wollte ja nicht untergehen in der Masse, denn wo sonst gab es die Möglichkeit, einen Vertreter des anderen Geschlechts mit roboterartigen Tanzbewegungen auf sich aufmerksam zu machen? Nur die Weißen überlebten im Schwarzlicht. Die weißen T-Shirts, die weißen Zähne, die weißen BH ’s unter schwarzen Oberteilen (Oh!).
Wie gut, dass ich vorgesorgt hatte und ein weißes T-Shirt trug. So konnte Jakob, der mit einer Cola am Rand stand, meine ausgetüftelte Choreographie bewundern. Hoffte ich jedenfalls. Da erklangen auf einmal die ersten Takte von Wish you were here . Oh Gott, Stehblues. Um mich herum formten sich Paare. Die Mädchen, die schon im Besitz eines festen Freundes waren, legten ihre Arme um ihn und schauten einmal in die Runde, ob auch ja alle guckten. Der Rest stand verschämt auf der Tanzfläche und wartete, ob sich irgendetwas ergab.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Jakob seine Cola abstellte und in meine Richtung kam. Kurz bevor er mich erreicht hatte, machte er eine Drehung nach links und forderte Ellen zum Tanzen auf. Sie nahm an. Blöde Kuh. Und blöder Jakob!
Ich bahnte mir meinen Weg durch die schmusenden Paare an den Rand der Tanzfläche und rutschte an der Wand entlang auf den Boden. Es hätte alles so schön sein können! Warum nur hatte er mich nicht beachtet? Ein paar Minuten hatte ich schwerste Depressionen, dann stolperte jemand über meine Füße. Anna! Meine Freundin Anna!
»Hallo, ich bin hier unten!«
Ich winkte vor ihrer Nase. Anna setzte sich neben mich und sagte:
»Huch, ich hatte dich gar nicht gesehen.«
»Genau wie Jakob.«
»Oh je. So schlimm?«
Ich nickte.
»Ich bin ihm gar nicht aufgefallen.«
»Vergiss ihn. Er ist eh ein Depp.«
Anna zupfte an meinem T-Shirt.
»Wolltest du nicht was Weißes anziehen?«
»Das T-Shirt IST weiß!«
»Du leuchtest aber gar nicht. Deshalb bin ich ja auch vorhin über dich drübergefallen.«
Ach so? Das war allerdings merkwürdig. Aber als ich an mir herunterschaute, sah ich, dass sie recht hatte. Ich war ein Nichts! Unsichtbar! Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Jakob hat mich vorhin gar nicht gesehen! Sonst hätte er mich hundertprozentig aufgefordert!«
»Stimmt«, sagte
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