Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
sich aber nicht nur Wasser, sondern noch etwas anderes. Ich ging einen Schritt näher heran und sah: Kristalle. Rosafarbene Kristalle, die auf dem Boden der Karaffe lagen und vor sich hin glitzerten. Auf dem Zettel daneben las ich, dass es sich hierbei um energetisiertes Wasser handele und dass die Edelsteine durch ihre Schwingungen das Wasser mit wertvollen Mineralien und Spurenelementen anreichern würden, die es nach dem langen Weg durch Metallleitungen und Pumpstationen verloren habe, bevor es aus unserem Wasserhahn kommt. Aha.
»Ist das Wasser, mit dem das Eis gemacht wurde, auch energetisiert?«, fragte ich den Eismann, als er mir endlich meine Waffel hinhielt.
»Ehm. Nein.«
Ha!
Auf dem Heimweg aß ich mein Eis und dachte darüber nach, wie schmal doch der Grat zwischen einer gesundheitsbewussten, ökologischen Lebensweise und esoterischem Schnickschnack ist. Meine Eltern hatten Mineralwasser immer nur in Glasflaschen gekauft und kistenweise nach Hause geschleppt, weil sich aus Plastikflaschen angeblich schädliche Stoffe lösen können. Weichmacher. Und Hormone.
Kristalle im Wasser gab es bei uns trotzdem nicht. Nur welche am Fenster, damit das Chi fließt. Ebenfalls aus energetischen Gründen gab es im Schlafzimmer keinen Spiegel, der Klodeckel musste immer geschlossen sein (na ja, außer beim Toilettengang) und der Schreibtisch stand so, dass man die Tür im Blick hat.
Als ich zwölf Jahre alt war und wir gerade umgezogen waren, kam ich von der Schule nach Hause und fand einen fremden Mann vor, der unseren Flur abschritt. Er hielt ein merkwürdiges Gerät aus Draht in der Form eines Ypsilons in den Händen, das mit einer kleinen Apparatur verbunden war, die aussah wie ein Taschenrechner und an seinem Gürtel hing. Nach ein paar Metern fing die Apparatur an zu piepsen und das Ypsilon schlug aus.
»Was macht der Mann da?«, fragte ich meine Mutter, die mit verschränkten Armen in der Tür stand und ihm zusah.
»Er sucht nach Wasseradern und elektromagnetischen Feldern.«
Ich machte den Mund auf, zu und wieder auf.
»Warum?«
»Weil die ungesund sind. Wir haben uns doch immer gewundert, warum du quer im Bett liegst, wenn du morgens aufwachst.«
»Ja, einmal bin ich sogar rausgefallen.«
»Genau. Und jetzt wissen wir auch, warum. In der Wand neben deinem Bett ist nämlich eine unisolierte Starkstromleitung.«
Wow. Unisolierte Starkstromleitung, das klang ganz schön gefährlich. Logisch, dass ich da sogar im Schlaf versuchte, auszuweichen.
»Und was ist das für ein Gerät?«, fragte ich.
»Eine Wünschelrute.«
Eine Wünschelrute? Irre. Ich hatte immer gedacht, so etwas hätten nur Feen. Der Mann sah aber gar nicht aus wie eine Fee.
Der Zahl nach zu urteilen, wie oft die Wünschelrute an diesem Nachmittag ausschlug, müssen unter unserem Haus mindestens Niagara-Wasseradern gewesen sein. Als der Mann fertig war, schaute er ein bisschen traurig und kratzte sich am Kopf.
»Überall schlechte Energie«, sagte er zu meiner Mutter.
Was man da machen könne? Nun, entweder müsse man alle Möbel umstellen, »oder aber«, und er zog einen Katalog hervor und blätterte darin, »Sie entscheiden sich für Kupferringe. Das Material schirmt die negative Strahlung von Wasseradern ab.«
Meine Mutter bestellte sehr viele Kupferringe. Einer davon kam unter mein Bett, die anderen wurden in der Wohnung verteilt oder aus optischen Gründen eine Etage tiefer im Keller platziert.
»Wirkt auch«, sagte der Wünschelrutenmann und zählte sein Geld. Er war übrigens Ingenieur bei Daimler und wünschelrutete nur nebenher, das fand ich aber erst sehr viel später heraus.
Ein paar Wochen darauf war Anna zu Besuch. Wir hingen in meinem Zimmer rum, so wie Teenager es eben tun, was auch bedeutete, dass wir auf dem Boden saßen, obwohl es genügend Stühle gab. Anna erzählte von Timo, der sie seit einiger Zeit endlich beachtete (was bedeutete, dass er ihr gestern die Faust in die Schulter gerammt hatte und deshalb »offiziell interessiert ist«). Da entdeckte sie den Ring.
»Was hast du denn da unterm Bett?«, fragte sie und zog das Kupferding hervor. Ich weiß nicht genau, warum ich ihr nicht die Wahrheit sagte, aber ich hatte so ein Gefühl, dass ihre Eltern nicht an Wasseradern glaubten.
»Ähm. Einen Hula-Hoop-Reifen natürlich«, sagte ich, brachte das Ding in Position und ließ die Hüften kreisen.
»Cool«, sagte Anna und nickte. Der Reifen fiel klirrend auf den Boden.
»Wirst schon sehen«, sagte ich, »ist
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