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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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nicht mehr nur intellektuell, sondern auch körperlich überragten. Das wollte ich auch!
    Also stellte ich zu Hause beim Mittagessen einen formlosen mündlichen Antrag auf die sofortige Anschaffung der, wie wir sie nannten, In-Treter.
    »Abgesehen davon, dass das die hässlichsten Schuhe sind, die ich je gesehen habe«, sagte meine Mutter, »sind sie viel zu teuer.«
    Und mein Vater, der Finanzexperte der Familie, fügte hinzu: »Du könntest aber dein Taschengeld sparen und dir selbst welche kaufen. So in einem Jahr.«
    Sie kauten und grinsten. Vollkornärsche. Ein Jahr! Das sind, in Teenagerzeit gerechnet, mindestens fünf. Wer wusste schon, ob ich überhaupt jemals so alt werden würde? Ich spielte meine letzte Karte aus und sagte:
    »Sogar Anna Breuer hat jetzt Buffalos!«
    Anna, meine liebe Freundin Anna, deren Eltern Akademiker und mit meinen befreundet waren. Wenn selbst Anna Buffalos hatte, musste das für mich doch auch möglich sein. Meine Eltern kauten unbeeindruckt weiter.
    »Wir sind aber nicht Familie Breuer«, sagte meine Mutter.
    Da war es. Das Totschlagargument schlechthin. Ich hatte es schon oft gehört, und das sollte sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Meine Eltern sprachen es immer dann aus, wenn sie mit richtigen Argumenten nicht weiterkamen. Übersetzt hieß das nämlich: »Wenn Anna mal wieder bessere Noten schreibt als du, führen wir die Familie Breuer zwar gerne als Positivbeispiel an, aber in allen anderen Fällen verweisen wir einfach auf unsere unterschiedlichen Nachnamen.«
    Die Füchse! Sie hatten ja recht. Wir hießen nicht Breuer, also waren wir auch nicht Familie Breuer, so weit konnte ich folgen. Warum das allerdings bedeutete, dass wir nicht die gleichen Dinge machen durften wie Familie Breuer, erschloss sich mir nicht, schließlich fuhren sie zum Beispiel auch einen Opel. Das Thema war jedenfalls erledigt. Und ich blieb klein, gesundheitsbeschuht und würde nie erfahren, wie die Luft da oben war.
    Dabei wollte ich doch nur einmal annähernd so cool sein wie meine Schulkameradinnen, die sich mit spätestens vierzehn Jahren ein Bauchnabelpiercing stechen ließen. Ich hingegen hatte nicht einmal Ohrlöcher. Meine Eltern waren erstens der Meinung, dass es unmenschlich sei, kleinen Kindern grundlos wehzutun. Zweitens fanden sie, dass Ohrringe an zweijährigen Mädchen albern aussehen. Und drittens hatten sie mal gelesen, dass am Ohr wichtige Akupunkturpunkte sitzen, die auf keinen Fall zerstört werden sollten. Nun war ich zwar alt genug, selbst darüber zu entscheiden, aber ich traute mich nicht. Andererseits hatte es bisher noch jede meiner Freundinnen überlebt.
    Ich beschloss also, mich der gefürchteten Situation zu stellen. Und versuchte mich damit zu beruhigen, dass mich die vielen tollen Ohrringe, die ich dann endlich tragen könnte, allemal für die Schmerzen entschädigen würden. Als moralische Unterstützung begleitete mich Nora. Sie hatte mit zehn Ohrlöcher bekommen und behauptete, es würde nur kurz pieksen. Hmpf.
    Der Termin fand im Brillenladen statt. Merkwürdig, da Brillen und Ohrringe auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Genau wie Schuhe und Schlüssel, auch so ein unerklärliches Geschäftskonzept. Später wurde mir dann klar, dass der Inhaber nur deshalb Ohrlöcher stach, weil er eben auch Ohrringe verkaufte. Der Optiker bat mich, auf einem Hocker Platz zu nehmen, malte einen Punkt auf jedes Ohrläppchen und zückte etwas, das aussah wie eine Pistole. Hilfe! Noch bevor ich den Mund öffnen konnte, um dem netten Herrn mit dem Folterinstrument mitzuteilen, dass ich meine Meinung geändert hatte, war alles vorbei.
    »Und, hat’s sehr wehgetan?«, fragte Nora.
    »Ehm, nein.«
    Auf dem Heimweg spürte ich dennoch, wie meine Ohren glühten. Wegen der Medizinstecker – und weil ich mich schämte. Darum hatte ich jahrelang so einen Wirbel gemacht? Da tat ja Augenbrauen zupfen mehr weh. Zu Hause präsentierte ich stolz meine neue Errungenschaft.
    »Super, dann kannst du dich ja jetzt ins Regal zu den Steifftieren setzen«, sagte meine Mutter.
    »Warum sollte ich?«
    »Na, wegen dem Knopf im Ohr.«
    Sie fand es immer noch albern. Aber das war mir total egal.
    Am nächsten Tag machte ich mir einen Pferdeschwanz und ging mit hoch erhobenem Kopf in die Schule. Komisch, dass die Menschen auf der Straße so taten, als wäre alles wie immer. Schließlich hatte sich etwas Elementares geändert. Ich hatte Ohrlöcher, endlich! Zwar hatten meine

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