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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Ohrläppchen über Nacht eine unansehnliche Form und Farbe angenommen, aber der Brillenverkäufer hatte mir versichert, dass das schnell vorbeigehen würde. Außerdem konnte ich so in der Schule noch besser ausschmücken, wie heldenhaft ich diese Höllenprozedur überstanden hatte. Ja, sie hatte lange gedauert, danke der Nachfrage. Ja, es gab Komplikationen. Und ja, am Ende ist doch noch alles gut gegangen. Ein Glück.
    Fünf Stunden lang genoss ich es, mich einmal im Mittelpunkt zu fühlen. Dann hatten wir Sport. Als ich in die Umkleide kam, stand dort eine Traube von Mädchen, die sich mit »Ah!« – und »Oh!«-Rufen um eine Mitschülerin scharte. Ich drängelte mich nach vorne – Achtung, meine Ohrläppchen! – und sah: Brüste. Es waren die von Ellen und die perfektesten, die ich je gesehen hatte. Respekt. (Na gut, Neid.) Ich ging näher heran, denn irgendeinen Grund musste es ja geben, dass Ellen, die einmal sitzengeblieben und schon sechzehn war, ihre Brüste zur Schau stellte. Da sah ich es. Ein Piercing. In der rechten Brustwarze.
    »Endkrass, das Nippelpiercing von der Ellen, oder?«, sagte Anna.
    »Mega«, sagte Sofie, «wenn ich achtzehn bin, lass ich das auch machen.«
    Ich dachte an die Pistole aus dem Brillenladen, und dann wurde mir ein bisschen schlecht. Auch, weil mir mein eigenes Piercing wieder einfiel. Ein Max-Mustermann-Piercing, feige und unentschlossen.
    Immerhin passte es gut zu meinen Haaren. Es war nämlich nicht nur so, dass ich in komischen Hippiekleidern rumlaufen musste, anscheinend hatten meine Eltern vor meiner Geburt auch noch Ökohaare für mich bestellt. Damit das Bild schön rund war. Ich hatte straßenköterblonde Locken, und mit diesem Material ließ sich so gut wie nichts anfangen: kein Pony, kein asymmetrischer Bob, keine bunten Strähnchen. Die Locken waren einfach da und wuchsen im Kreis. Dabei war die Frisur der Stunde ein Kurzhaarschnitt mit ausrasiertem Nacken (vorne lang, hinten kurz) in der Trendfarbe Aubergine, bei der eine Strähne quer über die Stirn gelegt und mit einer Blumenklammer fixiert wurde. Ich hätte fast alles für diese Frisur gegeben – aber meine Würde dann doch nicht. Also konzentrierte ich mich auf die Farbe.
    Zuerst versuchte ich es mit Henna aus dem Reformhaus. Aber vermutlich hatte ich irgendetwas falsch gemacht, denn nach dem ganzen umständlichen Aufkochen, Zusammenrühren, Auftragen, Einwirken lassen, Ausspülen und Trocknen waren meine Haare zwar irgendwie glänzender, aber die Farbe war immer noch die gleiche. Das war mir dann doch zu natürlich. Es musste also was Härteres her, und dafür ging ich mit Nora in den Drogeriemarkt.
    Das Regal mit den Haarprodukten war gigantisch. Es gab Blondierungen, Färbungen, Tönungen, Schaumtönungen, Zurück-zur-Naturhaarfarbe-Elixiere, Aufhell-Spray und Anti-Gelbstich-Shampoos. Alles mit Ammoniak und Wasserstoffperoxid oder ohne und einen Tag, eine Woche oder ein ganzes Leben haltbar. Schließlich entschieden wir uns für eine wiederauswaschbare Tönung in der Farbe Karotte. Die kannten wir schon von fünf anderen Freundinnen, da waren wir auf der sicheren Seite.
    Zu Hause blockierten wir das Bad und nahmen das Projekt Haarefärben in Angriff. Wie das stank! Und, aua, wie das brannte! Beim Auswaschen der Haare färbte sich die Badewanne rot und die weißen Handtücher auch, aber die versteckten wir einfach ganz unten im Wäschekorb. Was sich ebenfalls rot gefärbt hatte, waren unsere Hälse und Ohren. Na ja, Anfängerfehler. Dann föhnten wir uns. Sobald die ersten Strähnen trocken waren, zeigte sich, dass wir eine entscheidende Sache nicht bedacht hatten: dass orange nicht unbedingt jedem steht. Mir zum Beispiel. Außerdem, aber das merkten wir erst einige Wochen später, ließ sich die Farbe nicht wie auf der Packung beschrieben nach sieben Haarwäschen auswaschen. Sie wurde zwar blasser, aber ganz weg ging sie nicht.
    Ich sah also aus wie Pumuckl, der zu oft in den Regen gekommen war, und das passend zu einem großen Ereignis: der Schuldisco. Hier trafen sich alle Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf bis elf, und jeder, der etwas auf sich hielt, ließ sich blicken. Die Disco begann um sieben Uhr und ging bis zehn, worüber ich froh war, denn länger durfte ich sowieso nicht weggehen. Im Vorfeld versuchte ich meine Mutter davon zu überzeugen, dass ich dringend eine Levi’s-Jeans brauchte. Ich schmeichelte, flehte und schrie, denn schließlich hing mein Leben davon ab. Jedenfalls

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