Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
erklärt: Bei zunehmendem Mond ist der Körper in jeder Hinsicht aufnahmebereiter als sonst, das gilt sowohl für Speckröllchen als auch für Gesichtsmasken. Bei abnehmendem Mond schwinden die Kilos, aber auch die Energie. Was den optimalen Zeitpunkt für Körperpflege, Operationen und Wäsche waschen betrifft, steht in jedem Buch und auf jeder Webseite etwas anderes, aber wenigstens sind sich alle darin einig, dass der Mond einen starken Einfluss ausübt. Für Ebbe und Flut ist er ja auch verantwortlich, und wenn er sogar Ozeane bewegen kann, warum nicht auch einen Zellhaufen namens Mensch.
Der Zellhaufen, aus dem ich bestand, war gerade fünfzehn und hatte noch nie einen Friseursalon von innen gesehen. Meine Mutter hatte schließlich extra jahrelang an meinem Vater geübt, wie man Haare schneidet, ohne die Ohren dabei zu erwischen. Seitdem ihr das gelang, war sie auch für meine Frisur zuständig.
Als ich noch klein war, setzte sie mich dafür auf die Waschmaschine im Badezimmer und schnitt mir einen Pony, wobei sie versuchte, sich an der Linie meiner Augenbrauen zu orientieren. Später verpasste sie mir immer rechtzeitig zum Frühlingsanfang einen klassischen, französischen Bob. Mittlerweile ließ ich meine Haare wachsen und beauftragte meine Mutter nur ab und zu damit, die Spitzen zu schneiden. Damit ich ihre Arbeit auch genügend würdigte, hielt sie danach jedes Mal die Hand auf und sagte: »Zehn Mark, bitte«, worauf ich ihr einen unsichtbaren Schein überreichte.
Genau die richtige Beschäftigung für einen verregneten Nachmittag, fand ich. Meine Mutter saß an ihrem Schreibtisch, wo sie irgendwelche Noten sortierte.
»Mama«, sagte ich, »kannst du mir heute die Haare schneiden?«
Sie schaute zerstreut auf.
»Ja. Wasch sie dir schon mal, ich komme gleich.«
Als ich fünf Minuten später mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Schultern gelegt auf einem Hocker im Bad saß und meine Mutter gerade die Schere ansetzte, zuckte sie plötzlich zusammen und stieß einen Schrei aus.
»Hast du dich geschnitten?«
»Nein, nein.«
Sie eilte aus dem Badezimmer und ich hörte, wie sie auf ihrem Schreibtisch herumwühlte. Dann kam sie mit einem Kalender wieder, schlug ihn auf, blätterte, las und murmelte: »Hab ich es mir doch gedacht!«
»Was denn?«
Ich fror, und meine Haare waren an den Spitzen schon wieder trocken.
»Heute ist Fische.«
»… und?«
»Das ist der schlechteste Tag, um Haare zu schneiden.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst.«
»Willst du nun eine schöne Frisur oder nicht?«
»Na klar.«
»Also. Wir machen es am nächsten Löwetag.«
Na toll.
»Und wann ist der?«
Sie blätterte in ihrem Kalender. Und blätterte. Und blätterte.
»Oh. In zwei Monaten.«
»Nee, ist klar.«
Selbst sie sah ein, dass eine Fünfzehnjährige nicht so lange auf einen neuen Haarschnitt warten konnte und blätterte ein paar Seiten zurück.
»Jungfrau geht zur Not auch«, sagte sie, und als ich nickte: »Dann nächste Woche Dienstag. Vergiss die zehn Mark nicht.«
Ein paar Wochen später bat mich meine Mutter, die Fenster zu putzen, und an diesem Tag hatte ich genauso wenig Lust dazu wie an allen anderen Tagen im Jahr. Ich brauchte also eine Ausrede, und während ich noch nach einer suchte, fand ich den Mondkalender. Und im Kalender die Lösung. »Der Mond steht im Sternzeichen Skorpion, zunehmend/ 1 . Viertel«, stand da, und dann stand da noch:
»Nicht so günstig heute: Warzen entfernen, Brot backen, Fenster putzen.«
Das war doch genau die Info, die ich brauchte. Sehr sympathisch, dieser Mond. Was schlug er stattdessen vor?
»Besonders günstig heute: Brunnen bohren.«
Hm, eher nicht.
»Außerdem günstig: Unterleib warm halten, Dampfbad, eingewachsene Nägel korrigieren.«
Ach, Mond. Du alter Frauenversteher. Ich ließ mir ein duftendes Schaumbad ein, stieg in die Wanne und schaute träge zu, wie der Dampf die Fenster beschlug.
Kurze Zeit später kam meine Mutter ins Bad.
»Huch, was tust du denn hier? Ich dachte du wolltest Fenster putzen.«
Von Wollen konnte schon mal gar keine Rede sein. Ich erklärte ihr, was ich in ihrem eigenen Mondkalender gelesen hatte, dass nämlich der Platz in der Badewanne heute der einzig richtige für mich war, und nicht der auf der Leiter.
»So so, Fräulein.«
Auf der Stirn meiner Mutter bildete sich die kleine, senkrechte Falte, die nur zum Vorschein kam, wenn sie sich ärgerte. Aber gegen meine Argumentation kam sie nicht an, und sie wandte sich
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