Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
ab, um ein Lächeln zu verbergen.
»Und wann putzt du dann die Fenster?«
Ich ließ heißes Wasser nachlaufen.
»Frühestens in zehn Tagen.«
Meine Mutter seufzte. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Der Mond, du verstehst.«
Zu dem rundum durchharmonisierten Haushalt meiner Eltern gehörte auch, dass sie sich über Elektrosmog und Strahlenbelastung Gedanken machten. Sehr lange hatten sie deshalb kein schnurloses Telefon. Wenn ich zu Hause anrief, klingelte es mindestens zwölfmal, bevor jemand abnahm. Immer dann, wenn ich gerade auflegen wollte, meldete sich meine Mutter.
»Hallo?«
Sie keuchte in den Hörer. Phone-Trainer, auch eine Art Sport zu machen.
»Hallo, ich bin’s.«
»Ah, hallo Dubists. Sag, kannst du gleich noch mal anrufen? Ich gehe ans andere Telefon, da ist es gemütlicher. Gib mir zwei Minuten!«
Immer das Gleiche. Aber gut, machte ich mir eben noch einen Kaffee. Und hängte schnell die Wäsche auf. Dann wählte ich wieder die Nummer meiner Eltern.
»Hallo. Das waren aber zwei lange Minuten.«
»Hallo Mama.«
»Wie geht’s?«
»Gut, ich …«
»Bevor ich es vergesse, hast du eigentlich noch das Buch, das ich dir an Weihnachten ausgeliehen habe?«
»Moment, ich schau schnell nach.«
»Jetzt?«
Sie klang latent unzufrieden. Ihrer Meinung nach hat man beim Telefonieren nämlich in einem Schaukelstuhl zu sitzen und hält gefälligst einen Zettel und einen Stift bereit, damit man sich wichtige Dinge notieren kann. Die erledigt man dann nach dem Telefonat und ruft zurück. Bei langweiligen Gesprächen kann man den Zettel nutzen, um darauf rumzukritzeln und danach zu analysieren, warum das Papier nach Gesprächen mit Tante Hiltrud immer mit spitzen Formen vollgemalt ist.
»Ja, jetzt gleich.«
»Na gut«, seufzte sie, »ich bleib dran.«
»Ich auch, Mama! Ich hab ein schnurloses Telefon, ich nehm dich mit zum Regal. Wir können so lange ganz normal weitertelefonieren.«
»Ach so, ja dann.«
Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihr einen Videochat per Skype vorzuschlagen, damit sie mich in Echtzeit durch die Wohnung begleiten könnte, ließ es dann aber bleiben. Das würde sie nur aufregen, denn ihre Technik-Aversion ging so weit, dass sie meinem Vater Texte diktierte, die er für sie in den Computer eintippen musste; aber das lag natürlich nur am Elektrosmog, dem hohen Piepen und dem Bildschirm, der mit seiner schlechten Auflösung einen Angriff auf die Gesundheit ihrer Augen darstellte.
Die wahrscheinlichere Variante, die meine Mutter allerdings nie zugegeben hat, ist, dass sie auch mal Chef spielen wollte, Sekretär inklusive. Oder sie war einfach nur genervt, weil sie dieses Ding namens »Computer« nicht innerhalb von drei Minuten verstanden hatte. Danach gab sie auf und wollte nichts mehr mit diesem Scheißteil zu tun haben. Als ich ihr einmal am Telefon erklären musste, wie sie das Scheißteil anmacht und das Scheißmailprogramm öffnet, heulten wir danach alle beide.
Weil sie keine Lust mehr hatten, bei jedem Anruf durch das ganze Haus zu rennen, kauften meine Eltern doch irgendwann ein schnurloses Telefon. Ein Schweizer Modell, Öko-Test-geprüft und stromsparend. Fehlte nur noch die eingebaute Kuhglocke.
Seither laufen die Gespräche anders.
»Hallo, ich bin’s.«
»Ah, hallo Dubists. Wie geht’s?«
»Gut, ich …«
»Habt ihr auch so schönes Wetter?«
»Nein, bei uns regnet es.«
»Was? Also hier ist strah-len-der Sonnenschein! Papa sitzt mit seinem Espresso im Garten!«
Im Salz in die Wunde streuen ist sie gut, meine Mutter.
»Schön.«
»Stell dir vor, der Sohn von der Frau Krämer hat am Samstag geheiratet.«
»Ach ja?«
»Ja, und die Braut hat ein ganz reizendes Kleid getragen, das hättest du sehen müssen.«
»Hm.«
Plötzlich drang vom anderen Ende der Leitung ein dröhnendes Geräusch an mein Ohr. Aua.
»Huch, wird bei euch gerade die Straße aufgerissen?«
»Du, ich dachte, ich kann nebenher mal die Getreidemühle anmachen.«
Ihre Stimme klang sehr weit weg.
»Wolltest du eigentlich auch was erzählen?«
»Nein, nein.«
»Gut, dann können wir ja für heute Schluss machen. Ich will noch eine Quiche backen.«
Ich kann ihr nicht einmal einen Vorwurf machen. Ich erledige ja auch tausend Sachen nebenher, während ich telefoniere. Trotzdem, vorher war es schöner. Mit Schnur. Als meine Mutter wenigstens so tat, als würde sie mir zuhören und ich mir vorstellen konnte, wie sie gemütlich im Sessel sitzt und sich das Telefonkabel
Weitere Kostenlose Bücher