Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
um den Finger wickelt. Das brüllte ich ihr dann auch zu, um das Getöse im Hintergrund zu übertönen.
Sie stellte die Getreidemühle ab.
»Wenn du jemanden an die Leine legen willst, kauf dir lieber einen Hund.«
Ich denke noch darüber nach.
12 Eine Putzfrau ärgert sich über Blumen.
Nachhaltigkeit bedeutet für sie, dass die Fenster auch nach einer Woche noch sauber sind.
Es war August. Anna und ich hatten beschlossen, die Schule zu schwänzen und an den Baggersee zu fahren, denn einen guten Notenschnitt würden wir im Abitur eh nicht mehr bekommen. Und wer weiß, vielleicht war es der letzte heiße Tag in diesem Jahr. Wir packten Handtücher, Badesachen, Annas Discman, Essen und Getränke ein und radelten durch den Wald, sieben Kilometer, bis wir an den Feldweg kamen, von wo aus wir die Fahrräder schieben mussten. Ein paar Minuten später lag der See tiefblau und ruhig vor uns, im Hintergrund wölbten sich zwei große Kieshaufen und ein schwarzer Kran, der mit einem rot-weiß-gestreiften Band abgesperrt war, ragte regungslos in den Himmel. Industrieromantik.
Wir suchten uns einen freien Platz zwischen den anderen Badegästen und taten all das, was man im Sommer am See eben so tut: baden und wieder trocken werden und essen und trinken und baden und wieder trocken werden und reden und Musik hören und baden und wieder trocken werden. Irgendwann hörte ich aus der Ferne ein leises Grollen und ein kühler Windstoß richtete die Härchen auf meinen Armen auf.
»Ein Gewitter«, sagte Anna und legte sich ihr Sweatshirt um die Schultern. »Hoffentlich kommt das nicht zu uns.«
»Ach, das zieht bestimmt vorbei«, antwortete ich.
Tat es nicht. Innerhalb von Sekunden war der Himmel über uns schwarz, Blitze zuckten und der nächste Donner war so laut, dass wir aufschrien.
Krawumm!
Ein Platzregen klatschte auf die Oberfläche des Sees und peitschte die Sträucher am Ufer. Hektisch packten wir unsere Sachen zusammen und rannten los, während es unaufhörlich weiterdonnerte. Krawumm, krawumm, krawumm! Im Laufen konnte ich sehen, wie der Kran schwankte, und auf einmal wurde mir klar, dass er gleich umfallen würde, direkt auf uns drauf.
»Wir müssen schneller rennen«, schrie ich, »der Kran!«
Anna drehte sich um, riss die Augen auf und lief schneller. Ich hingegen wurde immer langsamer und meine Füße immer schwerer, so wie damals in der sechsten Klasse, als ich auf einmal nicht mehr die Schnellste war beim 50 -Meter-Lauf, sondern die Drittletzte, und ich mich fühlte wie auf Zeitlupe geschaltet.
»Verdammt noch mal«, rief Anna weiter vorne, und ihre Stimme klang irgendwie merkwürdig. »Wo ist denn bloß der Schrubber?«
Hatten wir einen Schrubber mitgebracht? Egal, Anna hatte recht, mit einem Schrubber könnten wir die Wassermassen zur Seite schieben. Während ich noch fieberhaft überlegte, wo der Schrubber war, wachte ich auf.
Ich sah auf den Wecker neben meinem Bett. Es war neun Uhr vierzehn. In unregelmäßigen Abständen knallte etwas gegen die Schwelle meiner Zimmertür. Krawumm! Was war heute für ein Tag? Mittwoch. Der einzige Wochentag, an dem ich erst zur dritten Stunde Schule hatte. Und der Tag, an dem Frau Fritsch zu uns kam. Unsere Putzfrau.
Frau Fritsch hatte sehr viele gute Eigenschaften, aber leise sein gehörte nicht dazu. Sie saugte und trampelte und fluchte und redete und stampfte und ächzte und stöhnte und ackerte und schuftete. All das vertrug sich nicht so gut damit, dass ich eigentlich schlafen wollte, aber welcher normale Mensch lag morgens um neun auch noch im Bett? Fragte sich vermutlich Frau Fritsch. Sie nämlich wachte um fünf Uhr auf – der Rücken. Um sieben Uhr hatte sie bereits die Böden in ihrer Wohnung feucht gewischt, die Fenster geputzt und trank einen Kaffee (zwei Drittel H-Milch, drei Tabletten Süßstoff). Und um acht Uhr war sie bereit, ihren Dienst anzutreten. Zu ihrem Leidwesen begann ihre Schicht bei uns erst um neun, aber sie kam eben einfach eine halbe Stunde früher. Erstens, weil sie sich keine Unpünktlichkeit vorwerfen lassen wollte, zweitens weil sie sich noch umziehen musste und drittens, weil sie währenddessen ein Schwätzchen mit meiner Mutter halten konnte.
Vielleicht versuchte Frau Fritsch sogar all die Jahre leise zu sein, konnte es aber einfach nicht besser. In französischen Arthouse-Filmen ist die Haushälterin immer ein elfengleiches Geschöpf, gespielt von Emmanuelle Béart, das im Hintergrund lautlos das wertvolle Porzellan
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