Muetter ohne Liebe
sein, was ich bin, oder das einmal zuzulassen. Was ich bin, weiß ich noch gar nicht. (Zit. n. Schützenhöfer 2004, S. 91)
Vor allem bei körperlich und/oder seelisch ausgeprägten Störungs- und Krankheitsanzeichen, wie z.B. Depression, Magersucht und verschiedenen Arten von Abhängigkeitserkrankungen, ist eine psychotherapeutische Begleitung und Unterstützung zu empfehlen. Die Ablösung und die Befreiung des authentischen Selbst führen dazu, die Fügsamkeit zu durchbrechen und die Mutter zu entmachten. Das kann die reale Mutter betreffen, doch meist geht es um die Mutter als innere Instanz, um die «Mutter im Kopf». Ein entscheidender Wendepunkt ist dann erreicht, wenn die ausbeutenden mütterlichen Programmierungen als solche erkannt und identifiziert werden können. Die auch emotionale Einsicht, dass das Interesse der Mutter an den Leistungen und Erfolgen wenig mit einem selbst zu tun hatte, dass die Liebe, die mit Anstrengung und der Opferung der eigenen Identität erobert wurde, gar nicht einem selbst galt, sondern dem Erfolg, der Attraktivität, dem, was repräsentiert wurde, ist schmerzhaft und erfordert Mut. Es ist auch nicht einfach, die Grandiosität, die «Besonderheit» aufzugeben und mit ihren Schattenseiten, dem Erleben von Minderwertigkeit und innerer Leere konfrontiert zu werden. Die eigenen übergangenen und unterdrückten Wahrnehmungen, die entfremdeten Gefühle bewusst zu erleben, sie ernst zu nehmen und nicht mehr, wie bisher, abzuwürgen, zu bagatellisieren oder zu entwerten – auch das ist ein Teil des Prozesses der Ablösung und der Begegnung mit dem eigenen, dem authentischen Selbst. «Ich bin es Mutter nicht schuldig, erfolgreich/verfügbar/heiter/tüchtig zu sein, ich darf auch faul/traurig/böse/autonom sein», so empfindet ein authentisches Selbst, das sich weder als großartig noch als minderwertig erlebt, sondern einfach als sich selbst in all seinen möglichen Schattierungen und Möglichkeiten. Auf diese Weise entwickeln sich im Prozess der Individuation zunächst die innere Erlaubnis zur Autonomie und dann auch das Vertrauen in sich selbst sowie die Fähigkeit, wirklich eigenständig zu sein und eigene Bedürfnisse und Lebensziele zu erkennen und zu verfolgen.
Der schrittweise Prozess der Ablösung von einer narzisstisch missbrauchenden Mutter hin zur Autonomie kam deutlich in den Träumen einer magersüchtigen Patientin zum Ausdruck, die deren therapeutischen Prozess begleiteten. Ein immer wiederkehrendes Thema der Träume der jungen Frau, nennen wir sie Karin, war das Autofahren, wobei sich die Inhalte dieser Träume aber im Verlauf der Therapie veränderten. Anfangs fuhr nämlich stets die Mutter den Wagen, Karin saß dabei hinten auf dem Rücksitz «wie ein Kind». Oft wusste sie gar nicht, wohin die Fahrt ging, und häufig wollte sie gar nicht dort hin, wo sie hin sollte. Sie konnte aber buchstäblich nicht sprechen oder auf andere Art reagieren. Später änderte sich die Traumszene dahingehend, dass Karin als Beifahrerin neben der Mutter saß, und wieder eine Zeit später saß schließlich und endlich sie selbst am Steuer, mit der Mutter als Beifahrerin. All das träumte sie parallel zur zunehmenden Autonomie in ihrem realen Leben. Im letzten Traum vor dem Ende der Therapie sah sie sich am Steuer ihres Autos vor dem Elternhaus sitzen, ihre Mutter in der Tür stehend. Sie winkte der Mutter noch einmal zu und fuhr fort. Leichten Herzens und bei blauem Himmel. In einem roten Cabriolet.
4.4.2 Loslassen können
Emotional ausbeutende Mütter schädigen ihre Kinder meist nicht in bewusster böser Absicht, sondern haben, wie wir gesehen haben, selber große psychische Probleme und Defizite. Ihr eigenes Selbst ist unterentwickelt und ihr Leben häufig eingeschränkt. Es ist ihnen nicht bewusst, dass sie ihre Kinder benutzen, um eine Leere zu füllen oder um Gefühle von Minderwertigkeit zu kompensieren. Dennoch gibt es auch hier einen Unterschied zwischen Müttern, die bereit sind, hinzuschauen und sich zu verändern, und anderen, die das offensichtliche Leiden ihrer Kinder in unbeirrter Selbstbezogenheit ihren eigenen Interessen unterordnen. Erwähnt wurde das Beispiel der Mutter, die ihre «hochbegabte» kranke Tochter Eva, fallen ließ, als diese ihre eigenen Wege gehen wollte und dies auch tun musste, um gesund zu werden. Evas Mutter wusste, dass es ihre Tochter buchstäblich krank machte, die fremdbestimmten Erwartungen zu erfüllen und sie eigentlich dringend ihre
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