Muetter ohne Liebe
böser Absicht. Sie selbst ist meist eine Frau, der es aus eigener Kraft nicht gelingt, ein eigenständiges und zufriedenes Leben zu führen. Sie macht ihr Kind von sich abhängig, weil sie von ihm abhängig ist, denn das Paradoxe ist hier, dass es das Kind ist, das die Elternrolle übernimmt und für das Wohlbefinden der Mutter sorgt. Loszulassen, die Abhängigkeit aufzugeben, würde für die Mutter bedeuten, keinen Wert mehr zu empfinden und eine unerträgliche Leere, kein Lebensziel und keinen Lebenssinn mehr zu spüren.
4.2.1 Die kastrierte Mutter
Das Kind stillt die unbefriedigten Wünsche und den Ehrgeiz einer Mutter, die häufig keine eigene Identität und kein eigenständiges Leben hat. Vielleicht ist sie selbst Tochter einer emotional missbrauchenden Mutter, die das Selbst ihrer Tochter beschnitten und deren Selbstgefühl untergraben hat. Deshalb bringt sie weder den Mut noch die Fähigkeit auf, ihr eigenes Leben und Streben zu leben. Ihr Selbstwertgefühl ist schwach. Es verlangt sie nach einem Menschen, der sie kritiklos annimmt, sie bewundert und ihr folgt. Auf diese Weise vermeidet die Mutter die Konfrontation mit ihrer eigenen inneren Leere und einem Gefühl der Wertlosigkeit.
Die emotional ausbeutende Mutter ist aber auch geprägt von unhinterfragten gesellschaftlichen Konventionen, insbesondere vom Muttermythos, der vorgibt, dass sich die Mutter ganz im Kind verwirklicht. Dadurch leistet er, wie es auch im Zitat vom Kapitelanfang schon angesprochen wurde, der emotionalen Ausbeutung von Kindern durch ihre Mütter Vorschub und verdeckt diese gleichzeitig. Der Muttermythos fordert von Frauen Altruismus, Selbstaufopferung und dass alle verfügbaren Energien auf das Kind gerichtet werden. Für die «gute Mutter» stehen Anpassung und Selbstaufgabe vor Selbstbestimmtheit und Eigenständigkeit. Im Geist des Muttermythos’ werden Frauen dazu erzogen, eigene Bedürfnisse vor sich und anderen zu leugnen, sobald sie Mutter werden, und ihren Lebenssinn und ihre einzige und wirkliche Befriedigung im Versorgen der Kinder zu sehen. In ihren Bedürfnissen nach Einflussnahme, Erfolg, Geltung und Anerkennung sind sie dadurch vollständig auf die Familie angewiesen.
Meine Mutter hat vorgegeben, perfekt und irrsinnig lebensbejahend zu sein. Alles hat funktioniert bei ihr. Sie hat einen großen, tollen Mann gehabt. Sie hat zwei gesunde, fesche und gescheite Kinder gehabt, die gut in der Schule waren […] Und trotzdem: Es war irgendwie eine große Selbstinszenierung […] Und die Leute haben sich von dieser Fassade ja auch blenden lassen. Aber drinnen hat es in Wirklichkeit gegärt. (Zit. n. Schützenhöfer 2004, S. 90)
Der Egoismus dieser Mutter ist aufgrund des Muttermythos’ nicht offen zu erkennen und zu durchschauen, sie wird im Gegenteil als besonders hingebungsvolle Mutter anerkannt und gelobt.
4.2.2 Minderwertigkeit und Depression
Wir Kinder bestätigten unserer Mutter, dass sie jemand sei. Sie konnte selbst nicht daran glauben und fühlte sich ohne Wert. (Gerber 1993, S. 112)
Die narzisstisch ausbeutende Mutter hat einerseits ein überdimensioniertes und andererseits ein zutiefst unsicheres Selbst(wert)gefühl. Sie pendelt zwischen dem Erleben von Bedeutung und Grandiosität, sofern ihr Kind als «Verlängerung» ihres Selbst erfolgreich ist, und dem Erleben von Depression und Minderwertigkeit, wenn sich das Kind ihr und/oder ihren Erwartungen in irgendeiner Weise entzieht, wenn es nicht verfügbar ist, um sie aus der depressiven Verstimmung zu befreien, ihr Selbstbild aufzuwerten und ihrer Existenz einen Sinn zu geben. Zum eigenen authentischen Selbst, das weder minderwertig ist noch besser als das von anderen, besteht kein Kontakt. Es gibt keine «Mitte», sondern nur das beständige Schwanken zwischen Polen: Die Mutter fühlt sich entweder «toll», groß und besonders, oder sie fühlt sich unbedeutend, schlecht und leer. Kinder narzisstisch bedürftiger Mütter spüren genau, dass sie Gefühle von Leere und Minderwertigkeit der Mutter kompensieren sollen, wenn sie zum Beispiel sagen:
Alles, was ich jemals tat – oder auch nur dachte und fühlte –, schien meiner Mutter zu gehören. Ich fühlte immer eine Art Sog, der von ihr ausging, als ob es etwas gäbe, das sie von mir wollte.
Immer strenge ich mich an, die Beste zu sein, attraktiv auszusehen, intelligent und erfolgreich zu sein […] ich glaube ich musste, besonders für meine Mutter, eine «höhere» Bildung verwirklichen, die sie
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