MUH!
«Verzeihe Sie, Signorina, aber ich habe keine Lust auf Entzündunge von die Blase.»
«Lasst uns jetzt endlich einschlummern», bat ich.
Alle nickten zustimmend und machten die Augen zu. Schon nach wenigen Sekunden schnarchte Giacomo allerdings so laut, dass keine von uns schlafen konnte. Wir lauschten seinem Geschnarche und hingen unseren Gedanken nach. Meine waren bei den anderen Kühen, die wir zurückgelassen hatten. Ich würde sie alle nie wiedersehen und vermisste sie jetzt schon: Kuno, Tristessa, Suizida, Zugunglücka, Pups-Onkel … Gut, zugegeben, bei Letzterem hielt sich das in Grenzen.
Aber Champion … Champion vermisste ich jetzt schon. So, so sehr!
Am liebsten hätte ich bei dem Gedanken daran, dass er sterben würde, sofort losgeheult. Doch wie konnte ich den anderen Mut spenden, wenn ich selber weinte? In dem Falle würde Susi endgültig durchdrehen, und meine Freundinnen würden womöglich ebenfalls verzweifeln. Um nicht zu heulen, schlug ich, über Giacomos Schnarchen hinweg, vor: «Es wäre schön, wenn wir uns ein bisschen unterhalten.»
«Worüber?», fragte Susi.
«Zum Beispiel», schlug Hilde vor, «darüber, wie wir dem Kater so viel Maiskolben in den Mund stopfen, bis er aufhört zu schnarchen.»
«Darüber unterhalte ich mich gerne», grinste Susi das erste Mal in dieser Nacht.
Es gab also eine Sache, bei der diese beiden Streithennen sich einig waren. Das war gut. Weniger gut war es, dass es sich bei dieser Sache um leichte Gewaltanwendung handelte.
«Ich weiß», erklärte Radieschen, «worüber ich mich unterhalten will.»
«Und über was?», fragte ich.
«Was wünscht ihr euch für das Leben in Indien?», wollte meine Freundin von uns allen wissen.
«Die Menschen dort bringen uns nicht um, sondern verehren uns», antwortete ich.
«Schon klar. Aber nur zu überleben reicht doch nicht. Was wünscht ihr euch darüber hinaus?»
Da war sie wieder, die Frage nach dem Glück. Die, die sich schon einst Naia gestellt hatte.
Warum Naia die Kühe in die Welt setzte
Naia sah alles an, was sie gemacht hatte, und siehe, sie war einsam. Singvögel sangen miteinander, Schweine oinkten im Chor, und Stinktiere besprühten sich gegenseitig. Selbst der Regenwurm konnte sich, wollte er nicht länger allein sein, einfach von einer Krähe in mehrere Teile picken lassen, und schon hatte er Gefährten. Nur Naia besaß keine Gesellschaft. Niemand war so wie sie.
Gewiss, die Tiere redeten mit ihr, aber oft nur, um sich zu beschweren: «Warum hast du die Stinktiere erfunden?» «Was sollen eigentlich diese Brennnesseln?» «Was hast du dir nur bei der Verdauung gedacht?»
Eines besonders schönen Sommertages betrachtete sich die Gotteskuh den Regenwurm, wie er sich so mit seinen Gefährten fröhlich durch das Erdreich schlängelte. Da kam Naia auf den Gedanken, es so zu machen wie der Wurm: Sie teilte sich, und aus ihren Teilen wuchsen die Kühe. Von dem Moment an, in dem die erste Herde das Gras betrat, musste Naia nicht mehr alleine sein. Tagein, tagaus tollte sie mit den Kühen herum, graste und schnäuzelte. Und sie war glücklich. Nur nicht für lang. Denn schon nach einigen Monden vermisste sie etwas, was die anderen Tiere – bis auf den Regenwurm – hatten, jemanden, mit dem sie sich körperlich vereinen konnte. So entschloss sich Naia zu ihrer merkwürdigsten Schöpfung: dem Männchen.
Mit dem Stier brachte sie lauter Dinge in die Herde, die noch unangenehmer waren als Brennnesseln oder Parasiten: die Begierde, die Eifersucht, die unfreiwillig komische Kopulation. Und natürlich auch das, wonach sich alle Kühe sehnen, was so viel Freude und doch so viele Schmerzen bringt und daher das Absurdeste von allem ist: die Liebe.
«Ich will in Indien ganz viele Stiere», verkündete Susi ihre Vorstellung vom Glück. «So wie die Stiere sich immer mehrere Kühe nehmen, will ich mir mehrere Stiere schnappen.»
Das war kein Traum vom Glück, das war der Traum von Rache an dem anderen Geschlecht und damit verbunden die Hoffnung, nicht mehr von einem Stier verletzt zu werden. Wenn Susi so bitter war, musste ihr das mit Champion ganz schön zugesetzt haben. Womöglich sogar mehr als mir. Auch wenn dies kaum vorstellbar schien.
«Ich habe auch einen Traum», erklärte nun Hilde.
Ich erwartete, dass jetzt ein Spruch von ihr kam. Hilde war eigentlich keine Kuh, die an Träume glaubte oder an eine Gotteskuh oder an das Gute im Stier. Dennoch klang sie in diesem Augenblick ganz ernst. Und
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