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MUH!

MUH!

Titel: MUH! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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sprechen.»
    Diesmal teilte ich voll und ganz seine Meinung. Meine Hufe wollten gerade zum Sprung über den Zaun ansetzen, da hielt der Bauer den Knallstab in meine Richtung und drohte: «Bleib stehen!»
    Er trat auf mich zu und drückte mir das Ende von dem Stab an die Stirn. Das Metall war noch warm, und es roch streng nach Rauch, vermutlich hatte das etwas mit dem lauten Knall eben zu tun.
    «Am besten», sagte er zu mir, «ich knall dich gleich hier ab!»
    Also, ich fand das gar nicht am besten.
    Der Bauer sah mir in die Augen und wurde mit einem Male milder: «Weißt du, ich hatte nie vor, euch alle abzuschlachten, aber ich habe keine andere Wahl. Das will der Insolvenzverwalter und … Ach, was rede ich, du kannst mich eh nicht verstehen.»
    Seine Bäuerin und er dachten immer, dass wir die menschliche Sprache nicht verstehen können, nur weil sie uns selber nicht verstanden, wenn wir Dinge muhten wie: «Hey, der Melksauger ist viel zu doll eingestellt» oder «Meine Zitzen sind doch keine Gummibänder» oder «Wann begreift ihr endlich, dass wir Kühe es nicht mögen, wenn ihr uns beim Liebemachen zuschaut? Und dabei den Stier auch noch anfeuert.»
    Der Bauer presste den Knallstab noch stärker gegen meine Stirn. Dabei wirkte er allerdings unsicher. Er wollte nicht abdrücken, so viel war gewiss. Diese Unsicherheit musste ich ausnutzen, ihm irgendwie ausreden, mich zu töten, selbst wenn er mich nicht verstand. So muhte ich: «Halt!»
    Er war kurz irritiert.
    «Tu es nicht!», muhte ich noch mal.
    «Scheiße, du scheinst zu begreifen, was ich vorhabe», seine Finger begannen zu zittern, und ich befürchtete, dass seine wackeligen Hände irgendwie diesen Knallstab auslösen würden.
    «Du willst mich umbringen», muhte ich, «was gibt es da schon groß zu begreifen?»
    «Es tut mir so leid», schluckte er. Dann senkte er den Knallstab, was mich unendlich erleichterte, und berichtete mit stockender Stimme: «Vor zehn Jahren hat der Banker gesagt: Klaasen, gehen Sie in die Massentierhaltung, das ist Ihre einzige Chance … aber ich wollte keine Tiere quälen, hab’s nicht gemacht … und jetzt …», er flüsterte nur noch, «… muss ich euch alle töten.»
    «Och, müssen muss man gar nichts, außer müssen», muhte ich.
    «Doch», antwortete er, als ob er mich plötzlich auch verstand. Er drückte sein Gesicht an meine Schnauze und weinte, weil er uns nicht umbringen wollte. Er hatte tatsächlich Gefühle. Wie wir.
    Ja, vielleicht waren Menschen auch nur Kühe.
    Am liebsten hätte ich ihm jetzt tröstend mit meiner Zunge über sein Gesicht geschlabbert. Aber irgendwie hatte ich die dunkle Ahnung, dass er das gar nicht als so tröstend empfinden würde.
    Der Bauer riss sich wieder zusammen und schnäuzte seinen Rotz in den Ärmel, was bei seinem dreckigen Hemd auch nicht mehr weiter auffiel. Dann blickte er mich leer an, und ich wusste: Egal, wie sehr er auch litt, es blieb dabei: Er würde uns alle töten. Da hielt sich mein Mitleid mit ihm mit einem Mal in Grenzen. Er hob den Knallstab wieder, um ihn auf mich zu richten. Darauf drehte ich mich blitzschnell um, aber nicht, um meinem Instinkt folgend wegzurennen, sondern um zuzutreten. Voller Kraft trat ich mit meinen Hinterbeinen in den Schoß des Bauern. Der ließ den Knallstab fallen, krümmte sich und rief: «Eijeijei … du hast meine Nüsse zerquetscht!»
    Viele Fragen schossen durch mein Hirn: Warum hatte der Bauer Nüsse dabei? Er war doch kein Eichhörnchen. Und was war so schlimm daran, wenn sie zerquetscht waren? Und vor allen Dingen: Sollte ich nicht aufhören, mir solche Fragen zu stellen, ob der Tatsache, dass er sich jederzeit den Stab wieder schnappen konnte, und stattdessen einfach losrennen?
    Letztere Frage beantwortete ich mir selbst mit «Aber hallo!», sprang und lief um mein Leben.
    «Lolle! Wir sind hier!», rief Radieschen mir zu. Sie hatte sich mit den anderen in einem Feld von riesigen Pflanzen versteckt, an denen Maiskolben hingen. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mir nie Gedanken gemacht, woher der Mais stammte, den wir manchmal in unserem Futter hatten. Und ich hätte diese Pflanzen jetzt bestimmt sehr interessiert betrachtet, wenn ich nicht gerade dringlichere Probleme gehabt hätte.
    Susi schnauzte Radieschen an: «Bist du verrückt? Wenn Lolle zu uns kommt, geraten auch wir in Gefahr!»
    Ja, die Susi – man musste sie einfach gernhaben.
    Ich galoppierte auf die anderen zu, während diese blöde Kuh rief: «Renn woandershin!

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