MUH!
besser zu gehen. Ab und zu sahen wir Eichhörnchen, die Bäume hochkletterten, aber ansonsten blieben wir ungestört, was uns ein klein wenig entspannte.
Schließlich kamen wir an einen kleinen, sich schlängelnden Bach mit kristallklarem Wasser. Der kam wie gerufen, hatte ich doch seit gestern Abend nichts mehr getrunken und von der ganzen Anspannung eine trockene Kehle.
Radieschen schluckte verängstigt: «An diesem Bach lebte der Bär Praxx, der gefährliche Hüter des Waldes. Und der ist nicht aus einem Märchen wie die Kuh des Wahnsinns, sondern wird auch in den heiligen Liedern besungen.»
Hilde erwiderte: «Selbst wenn die heiligen Lieder wahr sind, was ich nicht glaube, dann ist der Bär nicht mehr hier. Laut den Liedern hat er doch den Wald verlassen.»
«Bleibt immer noch die Kuh des Wahnsinns», antwortete Radieschen.
«Sieh dich um, gibt es hier eine Kuh des Wahnsinns?», fragte ich, schon leicht gereizt vor lauter Durst, und trank von dem klaren Wasser. Es schmeckte so viel besser als alles, was ich auf dem Bauernhof je getrunken hatte. Kühl. Erfrischend. Ob dies der Geschmack der Freiheit war?
Die anderen taten es mir nach, sogar Radieschen, deren Durst etwas größer war als ihre Angst, und alle tranken so gierig und ausgiebig, als wollten sie den Bach austrinken. Erfüllt von neuer Lebensenergie, fragte ich in die Runde: «Ist das nicht das Beste, das ihr je getrunken habt?»
Giacomo lachte: «Signorina, Sie kenne wohl noch nicht die ‹Sexe on die Beach›!»
«Nein», antwortete ich wahrheitsgemäß.
«Aber ich!», hörten wir mit einem Male eine alte, röhrende, weibliche Stimme. «Ich hab das schon mal getrunken!»
Wir schauten uns erschrocken um: Niemand war zu sehen. Es war, als ob der Wind zu uns gesprochen hätte. Meine Beine begannen zu zittern, und ich hörte, wie neben mir Radieschen vor Angst mit den Zähnen klapperte.
«Hier oben», lachte die Krächzstimme.
Wir blickten hoch, und in einer Eiche, direkt neben dem Bach, hockte auf einem extrem starken Ast eine alte Kuh.
«Scheiße, die Kuh sitzt ja auf dem Baum!», sagte Susi das Erste, was auch mir in den Sinn kam.
«Oh nein, das ist die Kuh des Wahnsinns!», flüsterte Radieschen das Zweite, was mir in den Sinn kam.
«Die Alte muffelt ganz schön», raunte Hilde das Dritte, was mir in den Sinn kam.
Ja, die Kuh stank schon von weitem, ihre Haut war faltig, und ihr Euter baumelte tief – sie musste unglaublich alt sein. Bestimmt schon an die zwanzig Sommer.
Behände sprang sie von ihrem Ast herunter und fragte: «Was macht ihr hier in meinem Wald?»
«Wir sind auf dem Weg nach Indien», antwortete ich schüchtern. Vor der Kuh des Wahnsinns zu stehen, versetzte mich in Angst und Schrecken.
«Ihr seid Kühe, die die Welt sehen wollen?», fragte sie erstaunt und lachte dann los. Laut. Unangenehm. Irre. Es war das drittfurchterregendste Geräusch, das ich je gehört hatte – nach dem Knallstab des Bauern und der Stimme von Old Dog.
Schlagartig hörte die Alte wieder auf zu lachen. Dann sagte sie: «Es gibt ein Lied über eine Kuh, die die Welt gesehen hat. Wollt ihr es mal hören?»
Niemand traute sich zu antworten.
«Dieses Lied handelt von einer Zirkuskuh …»
Zirkus? Was sollte das denn nun schon wieder sein?
«… und ihr Schicksal sollte euch eine Warnung sein!»
Wir schluckten alle. Das klang verdammt unheimlich. So, wie sie es sagte, war es sogar noch unheimlicher als die Kuh des Wahnsinns selber.
«Das Lied heißt Kuh-Pa Cabana», verkündete die Alte. Dann rief sie hoch in die Bäume: «Hey, Musiker!»
Aus allen Wipfeln kamen Eichhörnchen, Spatzen und Spechte herbei. Die Alte erklärte uns grinsend: «Denen habe ich hier im Wald das Musizieren beigebracht.» Dann forderte sie die Tiere auf: «Ich brauche ein paar lateinamerikanische Rhythmen!»
Die Spatzen begannen prompt zu pfeifen, die Spechte klopften fröhlich mit ihren Schnäbeln gegen die Baumstämme, und die Eichhörnchen hauten lustvoll Nüsse gegeneinander. Die alte Kuh fing an zu singen, und ihre Stimme klang überraschenderweise umwerfend gut:
Ja, sie hieß Lola,
sie war ’ne Showkuh,
mit gelben Federn in dem Haar
und einem Euter, so wunderbar.
Sie tanzte Merengue
und auch den Cha-Cha …
Während sie so sang, machte die Alte Tanzbewegungen, bei denen ich dachte: Andere in ihrem Alter hätten sich dabei schon längst die Hüfte ausgerenkt.
Sie wollte sein so wie ein Star
und fand Bruno wunderbar,
er war ein Stier
und hatte nach ihr
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