MUH!
verstand.
«Früher auf dem Hof», hörte er wieder auf zu lachen, «habe ich euch beim Muhen so gerne zugehört, euer Gesang war wunderschön.» In seiner Stimme lag ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Sentimentalität, eine Gefühlsregung, die ich ihm nie und nimmer zugetraut hätte. «Ich habe euch um eure Stimme beneidet. Damals, bevor ich von den Toten zurückgekehrt bin.»
Er war wirklich von den Toten zurückgekehrt? Das war also nicht nur ein Gerücht, das sich die Tiere auf dem Hof erzählt hatten? Oder dachte Old Dog dies nur von sich, weil er wahnsinnig war? Und was sollte einem lieber sein? Eins war unheimlicher als das andere.
Leise seufzte er: «Damals habe ich noch an das Glück geglaubt.»
Jetzt glaubte er nicht mehr daran? Eigentlich kein Wunder, wenn man es recht bedachte, war seine große Liebe, die Pudeldame Tinka, doch sinnlos gestorben. Für einen kurzen Moment hatte ich – trotz meiner Angst – Mitgefühl. Old Dog merkte, wie ich ihn ansah, und konnte diesen Blick anscheinend nicht ertragen. Er zischte: «Ich habe dir doch gesagt, was passiert, wenn wir uns noch mal begegnen.»
Dabei sprang er mit einem Satz von dem hohen Kistenstapel herunter und landete auf dem harten grauen Boden, so federnd und elegant wie eine Katze.
Völlig verängstigt stammelte ich: «Das war keine Absicht.»
«Das ist mir völlig einerlei», erwiderte er und schlich langsam auf mich zu. Garantiert, um mich zu töten.
Ich wimmerte: «Das ist nicht gerecht.»
«Sehe ich aus, als ob ich gerecht wäre?», fragte der Hund.
«Ehrlich gesagt, nein», antwortete ich leise.
Dabei wich ich vor ihm zurück, doch hinter mir war nur der große Bach mit dem Salzwasser. Und er schien so viel tiefer zu sein als der Bach, den ich von unserer Weide kannte, dass ich befürchtete, in ihm zu ertrinken. Andererseits war das vermutlich ein schönerer Tod, als von Old Dog gerissen zu werden.
Er ging weiter auf mich zu. Langsam. Genüsslich.
Ich wich weiter zurück und überlegte tatsächlich, ins Wasser zu springen. Vielleicht würde es mir irgendwie gelingen, mich und mein ungeborenes Kalb zu retten? Alles erschien mir besser als das, was jetzt gleich folgen würde.
Unmittelbar vor mir blieb er unter dem Lastkran stehen und zischte: «Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin sehr gerecht.»
«Ah ja?», fragte ich verwundert und hielt ebenfalls inne, nicht mal eine halbe Huflänge vom Wasser entfernt. Hoffnung keimte in mir auf, auch wenn ich befürchtete, dass Old Dog nur ein bisschen mit mir spielen wollte.
«Ich habe ein Herz», grinste er, «auch wenn ich kein Herz mehr habe.»
«Du hast kein Herz?», rutschte es aus mir entsetzt heraus.
«Details, Details … der Punkt ist doch, ich verschone dich … und dein Kind auch.»
Er wusste, dass ich schwanger war?
«Ja, das weiß ich.»
Konnte er auch noch Gedanken lesen? Oder hatte er einfach nur sehr, sehr gut geraten?
«Ich habe», erklärte er, «den Bauern ein bisschen verfolgt und erfahren, dass du schwanger bist.»
«Das heißt», fragte ich, «dass wir uns wiedersehen, liegt an dir?»
«Schon wieder ein unwichtiges Detail. Wichtig ist nur, ich lass dich und dein Ungeborenes in Ruhe.»
«Ehrlich?», fragte ich nun voller Hoffnung.
«Ehrlich», nickte der Hund. Es klang aufrichtig, und am liebsten hätte ich jetzt vor Erleichterung losgeheult. Doch dann ergänzte er: «Für den Augenblick.»
«Für den Augenblick?»
«Für den Augenblick!»
«Ich», plapperte ich, «ich werde dir wirklich nie wieder begegnen, das verspreche ich dir bei allem, was mir heilig ist …»
«Du wirst mir wieder begegnen», unterbrach Old Dog.
«Wieso …?», flehte ich.
«Weil das Ungeborene jetzt noch keinen eigenen Herzschlag besitzt. Aber irgendwann wird es einen haben!»
Und man konnte, so schoss es mir durch den Kopf, nur etwas töten, was einen eigenen Herzschlag besaß.
Old Dog drehte sich kalt lächelnd um und rannte davon. Im Laufen wandte er sich noch einmal um und rief mir lachend zu: «Wir sehen uns wieder, wenn das Herz des Kleinen in deinem Leibe schlägt!»
Kapitel 29
Old Dog verschwand in der dunklen Nacht. Ich starrte ihm noch nach, als er längst nicht mehr zu sehen war. Sein grausames Gelächter hallte jedoch in meinen Ohren nach. Dennoch zitterte ich nicht mehr, stattdessen wuchs in mir eine Entschlossenheit: Dieser irre Höllenhund durfte mein Kalb nicht kriegen! Ich musste ihm entkommen!
Doch dazu mussten wir jetzt alle so schnell wie möglich auf
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