Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
kein gebeugtes Verb, kein es und auch kein Objekt in irgendeinem Kasus. Alle Existenzanzeiger stammen zwar von alten lebendigen Verben in der 3. Person ab, erstarren aber mit der Zeit durch ständigen Gebrauch, werden kurz oder einsilbig, verlieren an konkreterBedeutung und nehmen keine Grammatik an: Sie werden zu starren Partikeln. Damit ist das Modell gibs Leute etwas ganz Undeutsches (obwohl süddeutsche und schweizerische Dialekte etwas Ãhnliches kennen: heuer hatâs Schnee ). Damit steht gibs in Opposition zu der eigentlich deutschen Ausdrucksweise vom Typ
â es gibt gute Gründe/es gibt einen Wachhund vor dem Haus.
die ein klares grammatisches Bild hergeben und immer den Akkusativ bei sich haben. Wie ist dann eine ominöse Konstruktion wie gibs zu erklären? Auch hier ist die Antwort denkbar einfach:
So gut wie alle Migrantensprachen haben einen solchen Existenzanzeiger.
Existenzanzeiger sind typisch für orientalische und weitere â¹exotische⺠Sprachen.
â¹Existenzanzeiger⺠in den Migrantensprachen
Ein starrer Existenzanzeiger gehört nicht zu dem, was man in europäischen Sprachen erwarten würde. In vielen Migrantensprachen gibt es aber ganz regelmäÃige Paare von Existenzanzeigern â so gut wie alle typischen Kiezdeutschsprecher sind also von ihrem (mutter)sprachlichen Hintergrund her bereits auf einen starren Existenzanzeiger eingestellt. Möglich ist, dass sich die Existenzanzeiger vom Türkischen aus im Mittelalter über den ganzen Balkan verbreitet haben. Als â¹Balkanismus⺠prägen sie die Balkansprachen bis heute unwiderruflich. Im einzelnen:
Das Türkische hat var â¹(es) gibt ⺠und yok â¹(es) gibt nichtâº: ekmek var â¹es gibt Brotâº, ekmek yok â¹es ist kein Brot daâº. Var und yok sind Wörter, die jeden Satz prägen, zumal sie auch noch den Besitz anzeigen können:
BulaÅık makinam var . â¹Ich habe eine Geschirrspülmaschineâº
BulaÅık makinam yok . â¹Ich habe keine Geschirrspülmaschineâº
Sie werden genauso wie var/yok übersetzt: â¹es gibtâº/â¹es gibt nichtâº; â¹es ist vorhandenâº/â¹es ist nicht vorhandenâº.
Die Albaner verwenden die Paarung ka/sâka: ka bukë â¹es gibt Brotâº; sâka bukë â¹ es gibt kein Brot âº;
Die Bulgaren haben ima/njama , die Jugoslaven ima/nema , die Rumänen nehmen sînt/nu sînt â¹es sind/es sind nichtâº. Sogar bis ins Russische hat sich der Existenzanzeiger ausgebreitet, und dies geht wahrscheinlich auf türkischen (tatarischen) Einfluss zurück. Er heiÃt hier estâ/net :
â Est â ljudi, kotorye mjasa ne edjat . â¹Es gibt Leute, die kein Fleisch essen.âº
â Net nikakich problem . â¹Es gibt überhaupt keine Probleme.âº
Der Existenzanzeiger im Kiezdeutsch ist also mit sehr groÃer Wahrscheinlichkeit eine Kopie aus den Migrantensprachen des Hintergrundes.
Die Konjunktur von MACHEN: Das Modell Ich mach dich Messer
Das Modell ich mach dich x/machst du x hat sich weit ins Kiezdeutsch verbreitet und dort zu neuen Ausdrücken geführt:
â Machst du rote Ampel = Gehst du bei rot über die StraÃe.
â Ich mach dich Krankenhaus = Ich schlage dich zusammen.
â Ich mach dich Messer = Ich ersteche dich u. v.a.
Bevor der machen -Typ ins Kiezdeutsch Einzug gehalten hat, gab es ihn aber auch schon in der Umgangssprache. Niemand wundert sich heute mehr über Wendungen wie
â eine Show machen, ein Tor machen, einen Film machen, Lieder machen, eine MaÃnahme machen für
â eine Show veranstalten, ein Tor schieÃen, einen Film drehen, Lieder komponieren, eine MaÃnahme durchführen.
Die Beispiele Ich mach dich Messer/machst du U-Bahn etc. haben sich mittlerweile zu berüchtigten Vorzeige- bzw. Abschreckungsbeispielen des Kiezdeutsch entwickelt und erzeugen allein durch ihre lexikalische Exotik einen wahrscheinlich gewollten Spezialeffekt. Das Besondere ist, dass sie das Bedeutungsfeld von â¹etwas machen⺠längst verlassen haben und quasi überall verwendet werden können (s. Krankenhaus ). Sie verwenden ein â¹leeres⺠machen mit einem beliebigen Anzeiger für irgendeinen Bereich, z.B. â¹StraÃenverkehrâº: machst du Ampel .[ 34 ]
Diese Schöpfungen sind beileibe nicht geeignet, Sympathien für Randgruppen zu erzeugen, auch wenn man
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