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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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deutlich, weil Vokale nicht wie im Russischen reduziert oder verschluckt werden. Er wird geprägt von den ‹Zischlauten›.
Der Bau der Wörter
    Das wirklich Schwierige am Polnischen sind die vielen Wortklassen, die oft historische Reste sind und eine Vielzahl an Formen hervorbringen wie in brat ‹Bruder›: bracia ‹Brüder›, mąż : męża ‹Ehemann›, pies : psa ‹Hund›, noga : nodze ‹Bein› etc. Maßgebende Grammatiker zählen insgesamt über 50 (!) verschiedene Deklinationsmuster. Und auch die Kasusendungen haben noch Varianten, z.B. Genitiv Singular brat a vs. hotel u . Wie in vielen slavischen Sprachen ist eine Anredeform vollkommen lebendig: Panie Krzystofie! Pani Kowalska ! Das Polnische hat sich eine feudale Form des Siezens bewahrt: Czy pan wie ‹ob der Herr weiß?› = ‹wissen Sie?› Przepraszam panią ‹ich entschuldige mich bei der Dame› = ‹entschuldigen Sie!›. Die Ausnutzung der Kasus ist typisch slavisch und entspricht in vielem dem Russischen: mało wody (Genitiv) ‹etwas Wasser›, nie mam pojęcia (Genitiv) ‹ich habe keine Ahnung›, jadę do domu (Genitiv) ‹ich fahre nach Haus›, interesuję się filozofią (Instrumental) ‹ich interessiere mich für Philosophie›, rozmawiamy o muzyce Preisnera (Lokativ) ‹wir reden über die Musik Preisners›.
    Polnisch ist dem Russischen in vielem ähnlich: Es hat keinen Artikel, es verdoppelt die Verneinung ( nic nie powiedziałem ‹ich habe nichts gesagt›), es hat besondere Formen für Belebtes, es hat einen Verbalaspekt. Bemerkenswert ist, dass auch die Normalform der Vergangenheit ohne IST/HABEN auskommt – etwas Uneuropäisches: ja _ napisałem ‹ich habe geschrieben›, ona _ przyszła ‹sie ist gekommen›. Auch das Futur kommt mit einer extremsparsamen Form aus: napiszę ‹ich werde schreiben›. Wie das Russische hat auch das Polnische ein zweites ‹unvollendetes› Futur vom Typ będę pisać ‹ich werde (irgendwann) schreiben›, das formal den europäischen Typus imitiert. Das Migrantendeutsch von Polen und Russen wird viel Gemeinsames aufweisen.
Der Bau der Sätze
    Das Polnische gehört zu den SVO-Sprachen, d.h. das Verb steht in der Mitte. Die Variation ist aber groß, weil die Kasus ja schon alles eindeutig anzeigen. Außerdem kann das Pronomen, wenn es Subjekt ist, oft wegfallen (‹PRO-DROP›):
    â€“ _ Czyta książkę ‹er liest ein Buch›.
    Wie in vielen anderen slavischen Sprachen auch ist die Folge der kleinen Partikeln streng geregelt:
    â€“ On by się nie mógł w niej zakochać ‹Er könnte sich nicht in sie verlieben›.
    Zu den Partikeln zählen auch die typischen Kurzformen für Personen: niego: go ‹ihn›, niemu : mu ‹ihm›. Typisch polnisch sind unpersönliche Sätze ohne eigentliches Subjekt: mówi się ‹man sagt›, zabiło go ‹es tötete ihn› = ‹er wurde getötet›. Oder das Subjekt erscheint in einem anderen Kasus:
    â€“ Pojawiło się dwóch wesołych chłopców (Genitiv) ‹Es erschienen zwei lustige Jungen›.
    Besonders die gesprochene Sprache ist voll von unveränderlichen Ausdrücken (die keine Übereinstimmung fordern, ja sie oft sogar ‹konterkarrieren›): widać ‹sichtbar sein›, dym widać było z daleka ‹der Rauch war von weitem sichtbar›, słychać ‹man hört›, warto ‹es lohnt sich›, należy ‹es gehört sich›; schließlich das seltsame to , eine Pseudo-Kopula: Piotr to _ artista ‹Piotr ist ein Artist›. Typisch ‹östlich› oder slavisch sind überhaupt Konstruktionen, die das Subjekt umgehen oder in den Dativ verlagern: smutno mi ‹ich bin traurig›, nudzi mu się ‹er langweilt sich›. Dies alles macht das Polnische weniger europäisch als viele annehmen; und auch vom Deutschen ist es ein großes Stück entfernt. Und dies muss sich auf die eine oder andere Weise auch im Sprachkontakt auswirken.
Der polnische Wortschatz
    Das Auffälligste sind die vielen lateinischen Wörter, die seit der Christianisierung ins Polnische eindringen, vor allem in abstrakte Bereiche: dieta, flekma, melankolia, notariusz, defensor, dekret, respekt,

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