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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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ernsthaft etwas gegen ein solches Engagement haben, zumal dann, wenn es der Beseitigung sozialer Schieflagen dient. Nur sollte man für solche Zwecke geeignete soziale Projekte starten, die Betroffenen beteiligen, mit ihnen kooperieren und dafür sorgen, dass sie etwas lernen, Fortschritte erzielen und auf ihnen aufbauen. Ob es jugendliche peer-groups , bildungsferne Familien, Migranten oder Kriminelle sind, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Kooperationen dieser Art kommen immer der Sprache zugute: Sie entwickelt und festigt sich in sozialer Interaktion – eine alte Binsenweisheit.
    Was man dagegen nicht tun sollte: Man sollte die Linguistik nicht zu einem sozialen Instrument machen, mit dem nur alte Mythen zementiert und neue angeschoben werden. Der bemühte Umweg über die Linguistik nützt letztlich niemandem: Die Betroffenen werden positiver wie negativer Diskriminierung ausgesetzt und kriegen die Botschaft mit, sie müssten sich nicht weiter um sprachliche Normen kümmern – ein fataler Fehlschluss. Und auch die Wissenschaft gerät leicht auf Abwege, weil die Bevölkerung nicht mehr weiß, worum es ihr genau geht: Denn sie untersucht zuerst exotische Nischen-Slangs und erst irgendwann später (wenn überhaupt) den Sprachkontakt von Migrantensprachen mit der deutschen Umgangssprache – wofür die Bevölkerung nicht wirklich Verständnis haben kann.
    Das 2012 erschienene Buch über das sogenannte Kiezdeutsch ( ein neuer Dialekt entsteht ) ist ein Lehrbeispiel für eine solche ‹Linguistik der Political Correctness ›. Seine zentrale Botschaft ist: «Kiezdeutsch ist original deutsch; es gibt praktisch keinen Einfluss von Migrantensprachen; es ist auf seine Weise vollkommen grammatisch, nicht defizitär, sondern kreativ. Dieser Dialekt ist eine Bereicherung der deutschen Sprachlandschaft, wird aber leider oft abgelehnt.»
    Auch über jeden Verdacht erhabene Experten sehen hier eine «linguistische Xenophobie» (Jürgen Trabant) am Werk, die offenbar wieder ein urdeutsches Bedürfnis bedient. Das Buch hat aber auch einen riesigen Vorteil: Wie von der Spitze eines Eisberges kann das geübte linguistische Auge einen Echoloten hinabsenken in die noch ziemlich unerforschte Unterwasserwelt des Wandels der deutschen Umgangssprache – dies jedenfalls ist unsere Motivation. Sagen wir zunächst mit unseren Worten, was ‹Kiezdeutsch› genau ist:
    Kiezdeutsch ist ein Slang, der sich in multiethnischen Wohnvierteln wie in Berlin-Neukölln entwickelt hat und von Jugendlichen mit türkischem, arabischem, kurdischem, jugoslavischem, albanischem, russischem, d.h. mit multiethnischem Hintergrund gesprochen wird.
    Textprobe (eigene Aufzeichnung)
    â€“ «Lan, ischwör auf meine Mutter er hat so gesag, isch hab voll Schock bekomm! Er sagt sie is voll die irre Braut dings sie geht mit jeden mit und hängt mit ihn so in Berlin rum, macht die Kripo voll zun Affen.»
    â€“ «Mann der is voll die Missgeburt, wenn isch den erwische er wird sehen! Isch sag dir er soll sie in Ruhe lassen, isch geh Freitag Palace dann isch red ma mit ihn.»
    Diesen ‹neuen Dialekt› von allen Seiten zu stützen und gegen alle mögliche Kritik in Schutz zu nehmen – dazu wird im Buch das ganze verzweigte Instrumentarium der Sprachwissenschaft aufgeboten. Die im Kiezdeutsch-Projekt wirkende Energie ist eindeutig darauf gerichtet, das Kiezdeutsch aus der Schmuddelecke der angeblichen Sprachverrohung herauszuholen, es vom Odium der ‹Kanak Sprak› (Feridun Zaimoğlu) und des ‹Balkanslangs› zu befreien und es auf Augenhöhe mit den anderen Existenzformen des Deutschen zu heben. Nun ist es rein linguistisch überhaupt kein Problem, irgendeine Sprachform zu einer neuen Varietät zu machen, wenn sie nur einigermaßen nachhaltig ist, und sie dann anderen Sprachen als ‹gleichwertig› gegenüberzustellen. Die ‹Erfindung› von immer neuen ‹Sprachen› – Moldawisch, Makedonisch, Kroatisch, Montenegrinisch etc. – kann seit langem auf dem Balkan besichtigt werden.
    So gut wie alle Merkmale des Kiezdeutsch sind Sprachzüge, wie sie seit langem von der Forschung für Pidgins und Kreolsprachen registriert werden. Dies ist der harte Kern:
    Â Â 1. Ausfall der Präposition: Das Modell Wir gehn _ Görlitzer Park
    Â Â 2. Ausfall des Artikels: Das Modell Isch kauf _

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