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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Balkansprachen sein, der im Kiezdeutsch-Buch nicht zur Sprache kommt. Die entscheidende erste Erkenntnis ist dabei, dass Mehrsprachigkeit bereits als solche hochgradig sprachverändernd wirkt (Abschnitt 3), die zweite, dass auch die Strukturen der Migrantensprachen ordentlich mitmischen, und die dritte, dass der Clash vieler Fremdsprachen (Pidginmilieu) automatisch neue Strukturen erzeugt.
    Bevor wir die Züge des Kiezdeutschen näher besprechen, muss man unbedingt etwas dazu sagen, wie das Kiezdeutsch klingt (was wir hier leider nur beschreiben können). Denn Kiezdeutsch kommt aus der Mündlichkeit, und das exotische Lautbild gehört zu seinen charakteristischsten Merkmalen.[ 27 ]
Die lautliche Seite des Kiezdeutsch: ‹Hab’ isch geseh’n mein’ Kumpel lan›
    Da ist vor allem anderen der berühmte, ja berüchtigte sch -Laut, der in den Personalpronomen wie isch, disch, misch, sisch , aber auch in Adjektiven wie rischtisch oder natürlisch eine so hohe Frequenz in der Rede erlangt. Er ist das akustische Erkennungszeichen des Kiezdeutsch wie auch seiner peer-group : Die Beispiele sind so zahlreich, dass man eigentlich jeden beliebigen Kiezdeutsch-Satz hernehmen könnte (aus Wiese 2012):
Seda :
Isch bin eigentlisch mit meiner Figur zufrieden und so, nur isch muss noch ein bisschen hier abnehmen, ein bisschen noch da.
Dilay :
So bisschen, ja, isch auch.
Seda :
Teilweise so für Bikinifigur und so, weißt doch so (…)
Dilay :
Isch hab von allein irgendwie abgenommen. Isch weiß auch nisch, wie. Aber dis is so, weißt doch, wenn wir umziehen so, isch hab keine Zeit zu essen, keine Zeit zu gar nix. (…)
 
Heute muss isch wieder Solarium gehen.
    Um den Laut in seiner schroffen Durchdringlichkeit (und seinem zuweilen unliebsamen Beigeschmack) zu entschärfen, wird im Kiezdeutsch-Buch relativiert: So komme sch für ch auch in deutschenDialekten vor, im Rheinischen und Hessischen, in Abwandlung auch im Berlinischen. Das aber ist u. E. durchaus irrelevant, weil der sch -Laut in diesen Dialekten eine Geschichte, eine Systemhaftigkeit und eine gewisse Berechtigung hat; und natürlich hat er einen völlig unauffälligen Klang. Er weist überhaupt keine Verbindung zum Kiezdeutsch auf, und es ist einfach von sehr weit hergeholt, hier eine linguistische Verbindung herzustellen.
    Der Laut kommt natürlich aus dem Sprachkontakt. Wir müssen hier etwas Linguistik einflechten: Der ich -Laut, phonetisch [Ç], ist im Deutschen eine Aussprache-Variante des Phonems/x/, das in Wörtern wie dich, echt, möchte oder Küche vorn im Mundraum, in Wörtern wie Sache, fluchen oder Koch weiter hinten ausgesprochen wird. Der Punkt ist nun, dass der ich -Laut in den meisten Migrantensprachen nicht vorkommt. Weil er aber im Deutschen so häufig ist, greifen die Sprecher zu einer Notlösung: Es wird einfach jener Laut genommen, der im Lautsystem der Migrantensprache dem fremden Problemlaut am nächsten kommt. (Eine alte Binsenweisheit der Phonetik.) Und das ist eben der sch -Laut,[ 28 ] der auch in türkischen ( ş ehir ‹Stadt›), arabischen ( a Å¡ - Å¡ ams ‹die Sonne›) oder bosnischen Wörtern ( Å¡ est ‹sechs›) vollkommen normal ist.
    Natürlich ist dieser sch -Laut als ‹Markenzeichen› des Kiezdeutsch nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt neben ihm noch viele andere Eigentümlichkeiten, die anhand der umfangreichen Aufnahmen des Kiezdeutsch-Projektes leicht hätten dokumentiert werden können. Wir können darauf nicht mehr im Detail eingehen.[ 29 ] Kiezdeutsch ist aber auffälliges Migrantendeutsch und deshalb kommt man an seinem ‹emphatischen› Grundton nicht vorbei, der offenbar aus dem Arabischen stammt.
‹Emphatisches› Kiezdeutsch
    Alle Lautmerkmale bringen den sofort ins Ohr gehenden seltsamen Höreindruck des Kiezdeutsch hervor, der übereinstimmend als ‹emphatisch› (vielleicht: ‹emotional überhöht›) beschrieben wird; andere Begriffe sind abgehackt, Stakkato, gepresst, gestoßen, silbenzählend, emotional, mit gesteigertem Atemluft-Aufwand . Eine derart echauffierte Artikulation mit (in der Linguistik auch so bezeichneten) ‹emphatischen› Lauten ist lange aus dem Arabischen bekannt – also der Muttersprache von Jugendlichen,die das Kiezdeutsch miterschaffen und entscheidend geprägt haben. Im Arabischen sind es besonders

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